Am Ende der Menschlichkeit / Von verwilderten Herzen

TW: Selbstmord, Zombies
 
Das Ende der Menschlichkeit hat ein Datum, zumindest ein ungefähres. Vor zwanzig Jahren ging die Welt zugrunde. Ein Virus fraß sich durch die Menschen. Tötete die Glücklichen. Verwandelte die weniger Glücklichen. Und ließ die Unglücklichen überleben. Die Welt wandelte sich. Und sie war gerade geboren, in diese neue Welt, die nie mehr sein sollte wie sie gewesen war. Und doch hatte Ella Glück, denn sie wurde in einer Militärzone geboren, die sich noch kümmerte. Die Ellas Mutter beschützte und versorgte, bis auch diese Zone zusammenbrach. Ella überlebte. Ihre Mutter nicht. Unter letzten Kräften hatte ihr Vater sie zu einer kleinen Gruppe Überlebender gebracht, die stetig wuchsen und im Untergrund arbeiten um diesen Virus aufzuhalten. Einen Impfstoff herstellen oder alle Infizierte zu töten, man wusste es nicht so genau, aber diese nahmen Ella auf und bildeten sie aus. Bis heute. An ihrem siebzehnzen Geburtstag stand sie auf einem Dach eines Hochhauses und blickte zur erleuchteten Stadt. Auf die patroullierenden Soldaten des Miltärs. Auf versteckte Bewegungen des Untergrundes. Auf Menschen, Schicksale und das Ende der Menschlichkeit. Den hier ist kein Platz mehr für Menschlichkeit und das wusste auch Ella. Seufzend sah sie auf ihren Arm. Die Spuren des Bisses waren keine dreißig Minuten alt. Sie würde sich verwandeln oder sterben. 
 
"Verdammt", murmelte sie als Tränen sich bemerkbar machten und der Winden Strähnen ihres hellbraunen Haares ihr ins Gesicht peitschte. Dann drehte sie sich um, nahm den Weg durch das Treppenhaus, bis sie vor einer Tür stehen blieb, sich durch den Spalt quetschte, sich in einer der leerstehenden Wohnung befand und durch eine Klappe im Boden in die Kanalisation verschwand. Raus aus der Stadt, war ihr einziger Gedanke. Also lief sie und verließ die einzige Heimat, die sie kannte. Die kalt und grausam war, aber in der sie wusste, wo sie hingehörte. Nun gehörte sie zu niemanden mehr, außer dem Tod.

Sie gelangte unbemerkt bis zur Randzone der Stadt, die verlassen vor ihr lag. Überall Trümmer, Ruinen und Pflanzen. Die Werke der Menschen waren zerstört und rosteten vor sich hin, aber die Natur hatte sich zurückgeholt, was die Menschen zurückgelassen hatten. Überall wuchs Gras, Efeu und andere Pflanzen, die sich an den Trümmern langhangelten und durch Räume wuchsen. Ella atmete tief durch, sie war oft hier gewesen, wenn ihr alles zu viel wurde. Sie kannte keine andere Welt, als die militärische Präsenz, das ständige Hungern, kämpfen, unterordnen und doch - da musste es noch mehr geben, sie spürte es in ihrem Herzen. Nur hatte sie sich nie weiter getraut, als bis zu den verfallenden Ruinen am Rande der Stadt und nun bereute sie dies. Was hatte sie so lange an der Stadt festgehalten? Aus Angst vor den Infizierten? Was für eine Verhöhnung des Schicksales, dass sie dann ausgerechnet in der Stadt gebissen worden war. In einem alten, verwahrlosten Kaufhaus, in dem sie nach Vorräten gesucht hatte. Sie war eine Stalkerin, sie suchte, was noch verwendet oder eingetauscht werden konnte und dieses Kaufhaus sah gut aus. Es gab eine Ebene, die unberührt aussah. Sie und Kenji waren durch einen Lüftungsschlitz hinein geklettert und hatten sich staunend umgesehen. Was für eine Welt! Bunt, wenn auch ein wenig verblasst und so viel Kram, der wenig Sinn machte. Masken? Bunte Tiere? Was hat die Vorwelt nur mit all dem Zeug gemacht, der primär nicht dem Überleben diente? 

Sie hatten Spaß, so viel Spaß wie schon lange nicht mehr, als sie durch die Gänge streiften. Masken aufsetzten. Durch Bücher stöberten. Seltsame technische Geräte betrachteten. Doch dann ging alles so entsetzlich schief. 

Im Nachhinein wusste Ella nicht mehr, wo der Infizierte eigentlich herkam. Er war plötzlich einfach da und griff sie an. Kenji schoss und traf ihn mit einem gezielten Kopfschuss mitten in die Stirn, doch dann brach die Hölle aus. Es waren mindestens fünf Infizierten, die den Raum stürmten, einer davon viel zu nah und bevor Ella wusste, was geschehen war, spürte sie den Schmerz an ihrem Arm. Entsetzt riss sie sich los und wich zurück, bevor der Infizierte in die Knie brach und zuckend starb. Kenji! Sie drehte sich um und rannte, kletterte auf eines der Regal und von da weiter. Sie versuchte möglichst hochzukommen, griff nach Gegenständen und warf sie, um die Infizierten abzulenken. Währenddessen schoss Kenji und erledigte nach und nach die Gegner. Doch dann, Ella hatte so etwas noch nie gesehen, kam ein Infizierter und er sah anders aus als alle, die sie bisher gesehen hatte. Groß, dick, überwuchert mit einem gelblichen Pilz. War zur Hölle, schoss es ihr durch den Kopf, dann war er bei Kenji und riss ihn entzwei. Ella keuchte auf. Der Infizierte drehte den Kopf zu ihr. Doch er war zu langsam, als er an der Stelle angekommen war, an der sie eben noch gehockt hatte, war Ella schon durch den Luftungsschacht geschlüpft und rannte. Sie rannte und rannte, bis sie auf dem Dach landete, an dem wir eben Bekanntschaft mit ihr gemacht hatten.

Die Randzone war anders als die Stadt. Hier gab es nur noch völlig zerstörte Häuse und überwucherte Wände. Doch es gab noch mehr. Sie hörte Vögel zwitschern. Wind durch Blätter rauschen. Ein eigenartiger Frieden erfasste sie. Ja, sie würde sterben oder sich verwandeln und ein sabberndes, willenloses Ding werden, aber sie war nicht mehr sauer. Nicht mehr traurig. Nur noch müde. Müde vom Überleben, den Kämpfen, den Intrigen. Ein Lächeln ließ ihr Gesicht erstrahlen. Und sie lief los. Mitten hinein in die Randzone und bis zum nahen Wald. Ein Fluss schlängelte sich durch Grabenschluchten und hoch gewachsene Bäume. Nicht alle standen hier schon vor dem Umbruch. Manche waren neu gewachsen. Zart und noch nicht so hoch und mächtig wie die alten Bäume. Und doch. Wo die Menschen verschwanden wuchs die Natur. Und die Tierwelt. Sie sah einen scheuen Fuchs einige Meter entfernt an einem alten, bewucherten Auto schnuppern. Vögel durch die Luft jagen.  Es war schön. Friedlich. Und sie sehnte sich nach diesem Frieden.

Wie lange es wohl dauerte bis sie zu einem Zombie wurde? Entschlossen schüttelte Ella den Kopf. Sie wollte es nicht wissen. Und es vor allem nicht so weit kommen lassen. Langsam lief sie durch die Straßen, die vielleicht einmal zu einem Vorort gehört haben mochte. Straßen- und Ortsschilder waren länger bewuchert. Die Häuser von Pflanzen verschlungen. Der Wald, den sie eben noch so angezogen gefunden hatte, ließ sie liegen und wandte sich den Bauten vor sich zu. Häuser, überwuchert, teilweise zerfallen, ließen noch immer die Schönheit und Ruhe dieses Ortes erahnen. Wie schön musste es früher gewesen hier zu sitzen? Abends mit Nachbarn den Sonnenuntergang zu beobachten? Gemeinsam zu essen? Ohne Sorgen von Zombies überrant zu werden? Ständig die Angst zu sterben im Nacken zu spüren?

Ella seufzte und ließ sich auf einen halb zerfallenen und von Pflanzen überrankten Stuhl fallen. Die Veranda war alt, aber sie konnte den Frieden erahnen, wenn man einfach nur hier saß und den Abend genoß. Tränen rannen ihr aus den Augenwinkeln. Wie sehr wünschte sie, sie wäre nicht in dieser Welt, in dieser Zeit geboren. Hätte mehr zum Leben gehabt als nur zu Überleben. Aber was half Wünschen? Sie war in der heutigen Zeit geboren und sie würde nie etwas anderes erleben. Jetzt sowieso nicht mehr. Mit zitternden Händen packte sie den Griff des Messers fester. Lächelte. Und verging.

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