Ein Monster geht ins Feriencamp / Das Monster, welches meine Augen fraß

Bevor ich eingeschult wurde, meldete die Krankenkasse, dass ich eine Kur machen sollte. Allerdings gab es da einen Haken, denn diese Kur sollte sechs Wochen gehen und vor allem genau nach den Sommerferien stattfinden, also genau zu dem Zeitpunkt, in dem ich in der ersten Klasse sitzen sollte. Meine Mama fand das nicht gut und aus heutigem Standpunkt kann ich das sehr gut verstehen. Sechs Wochen, in denen sich die anderen kennen lernen und finden konnten und dann ich. Sechs Wochen, die mich gegen eine komplette Klassengemeinschaft stellen würden, aber zum Glück kam es nicht dazu, denn ich hatte ja meine Mama.

Es gab da nämlich etwas, was sich als Glücksgriff erwies, den KiDS-Kurs! Ein Feriencamp für Kinder mit Typ eins Diabetes. Im Prinzip ist alles so wie man sich das in einem Feriencamp vorstellt, nur eben mit durchgängiger ärztlicher Koordinierung und Betreuung. Und ernsthaft, es gibt nichts Besseres auf der Welt.

Als ich das erste Mal den KiDS-Kurs bestritt, war ich immer noch sechs Jahre alt und das jüngste Kind dort, ich habe es gehasst! Alle haben sich um mich gekümmert, mich bemuttert, auf mich aufgepasst und ich habe das nie gemocht. Ich war als Kind schon selbstständig und habe meinen Weg lieber selbst erkundet, als mir alles sagen zu lassen. Auch ging dieses Camp damals noch drei Wochen statt wie heute zwei und ich hatte schwer damit zu kämpfen, solange von zu Hause weg zu sein. Aber ich habe dort fürs Leben gelernt. Ich lernte wie man sich selbst spritzt und somit unabhängiger wurde, denn es gab mittlerweile die Möglichkeit eines flexiblen Ess-Spritz-Plans. Bisher musste ich essen wann und wie viel vorgeschrieben war, mit diesem anderen Plan konnte ich essen was und wie viel ich wollte, wann auch immer mir danach war. Und das macht das Leben deutlich einfacher. Man kann einfach leben und danach seine Krankheit anpassen und nicht mehr das Leben der Krankheit. Diese Entwicklung in der Therapie war ein wichtiger Schritt für alle und es wird immer weiter gehen, bis man vielleicht auch diese Krankheit irgendwann heilen kann.

Aber ich lernte auch Kinder kennen, die die gleiche Krankheit hatten wie ich. Die ähnliche, aber auch andere Erfahrungen gemacht haben, aber trotzdem waren wir alle gleich. Wir alle hatten eine kaputte Bauchspeicheldrüse. Wir alle produzierten kein Insulin mehr. Wir alle hatten ein Handicap im Leben. Und wir alle wollten einfach nur leben!

Wir hatten ganz normale Camp-Beschäftigungen wie Ausflüge zum See, ins Freibad, ins Kino, Fahrradtouren oder anderes. Zudem hatten wir auf dem Gelände zahlreiche Möglichkeiten Basketball oder Tischtennis zu spielen, sogar einen Volleyballplatz gab es auf der alten Location.

Und wir hatten Schulungen. Zu allen Themen, die man verpacken kann. Broteinheiten schätzen, richtige Spritztechniken, Diabetes auf Reisen, Freunde und Diabetes sowie vieles mehr. Mein gesamtes Wissen habe ich aus diesen Sommern im Camp erlernt und nicht aus Büchern oder klinischen Schulungen.

Natürlich wird das Ganze von einem Team aus Ärzten und medizinischem Personal koordiniert und betreut. Man geht keinen Schritt, ohne dass man bestmöglich versorgt ist. Dies alles zusammen macht es perfekt für Kinder und Jugendliche mit Diabetes und ich kann euch allen nur empfehlen, schaut euch den KiDS-Kurs definitiv mal genauer an, wenn ihr in der Situation seid, euch mit Typ eins Diabetes auseinander setzen zu müssen.

 

Alles in allem war ich ganze vier Mal im Camp. Das erste Mal war, wie gesagt, grauenhaft und ich dachte mich würde nie wieder ein Pferd dort hinbringen, aber das zweite Mal war besser. Ich war älter und ich kam besser mit der sich mir bietenden Situation zurecht und die beiden letzten Male waren toll. Ich galt immer als so etwas wie ein Vorzeigepatient und machte es mir zu eigen, die kleineren Mädels unserer Gruppe um mich zu scharren und zu beruhigen. Die  Mädchen kamen bei Problemen eher zu mir gerannt als zu den Betreuern, aber ich habe es gerne gemacht, irgendwie fand ich die Arbeit sehr gut, mein Wissen weiterzugeben und den anderen zu helfen, wo ich helfen konnte.

 

Was ich aber vor allem in diesen Wochen gelernt habe, ist, dass alle andere Erfahrung machen. Es gab dort Kinder, die aufgrund ihrer Krankheit ausgegrenzt wurden und zwar nicht nur von anderen Kindern, sondern vor allem auch von Respektpersonen. Lehrer, die mit schlechtem Beispiel vorausgehen und den Diabetikern das Leben noch schwerer machen als dies sowieso bereits der Fall ist. Dass die nötige Aufklärung fehlt, viele Lehrer aber auch gar nicht daran interessiert sind, sich aufklären zu lassen. Es gibt Möglichkeiten, Fachpersonen an Schulen zu holen, die den Lehrern und Kindern erklären, was Diabetes ist und wie man damit umgehen kann, aber viele sind daran nicht interessiert. Oft würde es auch helfen, Sachen nachzulesen oder einfach die Eltern zu fragen, aber wenn diese Bereitschaft nicht da ist, dann kann es unter Umständen sehr schwer für die Betroffenen werden.

Doch gerade heute, wo das Wissen so offen herumliegt wie kaum etwas anderes, hoffe ich, dass immer weniger Kinder solche Erfahrungen machen müssen, denn wir haben einfach nur Diabetes, nichts anderes!

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