Teil 5 / Schattennacht
Mircea wusste nicht wie oft sie
in letzter Zeit mit Kopfschmerzen aufgewacht war, aber es war ein schmerzhaftes
Déjà-vu. Vorsichtig richtete sie sich auf und spürte, dass ihre Hände auf dem
Rücken zusammen gebunden waren. Hart kämpfte sie dagegen an, aber statt sich zu
lockern, schnitten die Stricke nur schmerzhafter in ihre Haut.
»Lass es«, sagte eine sanfte
Stimme neben ihr. Eisa!
»Was?«, ihre Zunge war bleiern
und ihre Stimme rau. Doch Eisa schien sie auch so zu verstehen.
»Ach weißt du, ich mag dich
wirklich, irgendwie, aber du kannst mir nicht genug bieten, also habe ich die
bessere Seite gewählt.« Ein hinterhältiges Lächeln fraß sich durch ihre
Gesichtszüge und zerstörte ihre makellose Schönheit.
Mircea wollte etwas erwidern,
wurde aber von einem Stöhnen neben sich abgelenkt.
»Lyndsy«, verzerrt brachte sie den
Namen ihrer Schwester hervor.
»Ihr geht es gut, sie wird nur in
etwa die gleichen Kopfschmerzen haben wie du.«
Mircea knurrte als Antwort nur.
»Eisa, hör auf zu quatschen und
hilf mir endlich!« Enver stand an der Tür und winkte das blonde Mädchen zu sich.
Beide verließen den Raum und Mircea konnte sich umsehen. Neben ihr lag Lyndsy,
eine große Schramme zierte ihre Stirn, aber ansonsten schien sie unverletzt zu
sein. Bis auf eine weitere Person, die seltsam verrenkt in der Ecke lag, war
das Zimmer leer. Vorsichtig richtete sich Mircea so gut es mit gefesselten
Händen ging auf und versuchte die Person besser sehen zu können. Es war Vidar.
Seine Glieder standen teilweise seltsam von seinem Körper ab und unzählige
Wunden übersäten sein Gesicht.
»Verdammt«, Mircea fluchte leise
und versuchte wieder ihre Fesseln zu lösen, doch nichts geschah, außer dass sie
sich selbst weitere Schmerzen zufügte. Zutiefst frustriert ließ sie sich gegen
die Wand sinken und schloss die Augen. Dann wartete sie. Worauf auch immer,
aber etwas lag in der Luft und sie hatte sowieso keine andere Wahl. Also
wartete sie.
Sie war eingeschlafen, als die
Tür aufgerissen wurde. Erschrocken wollte sie aufspringen, wurde aber von den
Fesseln um ihre Handgelenke aus dem Gleichgewicht gebracht und fiel unsanft auf
die Knie.
»Na, nicht so hastig«, lachte
eine raue Stimme und Rey zog sie auf die Beine. Eisa schnappte sich die kleine
Lyndsy, die mittlerweile wieder bei Besinnung war und schob sie hinter Mircea
her. Sie wanderten durch ein paar kurze Gänge und befanden sich plötzlich
draußen. Die Luft war klar und ein leuchtend roter Mond stand am Himmel.
»Aber…«, überrascht zog Mircea
die Stirn kraus.
»Ja ja ich weiß, ich habe einfach
ein wenig geschummelt, als ich euch gesagt habe, wann der Blutmond ist«, lachte
Enver.
Er stand im Burghof und neben
sich Wynn, die sich unsicher hin und her drehte. Ihre dunklen Augen waren
klarer als all die Zeit zuvor und Envers Macht nur dünn. In der Mitte brannte
ein großes Feuer und leichter Qualm setzte sich in Mirceas Nase fest. Es roch
unangenehm, irgendetwas in seinem Inneren verbrannte, was nicht brennen sollte.
»Endlich ist es soweit«, Envers
Augen blitzten vor Gier. »Heute Nacht werde ich aufsteigen und die Welt wird
mir gehören! Endlich, nach so langer Zeit!«
Wynn wandte sich unbehaglich und
trat von einem Fuß auf den anderen.
»Dann endlich muss ich dich nicht
mehr kontrollieren, dann werden sie alle vor mir erzittern, aber bis hier hin
hast du mir einen guten Dienst erwiesen. Nur dir habe ich es zu verdanken, dass
ich heute hier stehe«, Enver umfasste Wynns Kinn mit hartem Griff, drehte ihr
Gesicht in seine Richtung und sah sie an, bevor er sie brutal küsste.
»Mit deiner Macht und vor allem
mit der deiner Töchter werde ich endlich der Herrscher der Welt sein und alle
werden vor mir erzittern.«
»Träum weiter«, Killians Stimme
hallte über den Hof.
»Was?«, abrupt drehte Enver den
Kopf suchend hin und her, konnte Killian jedoch nicht entdecken. Sein Blick
streifte Eisa. »Ich denke, du hast ihn ausgeschaltet.«
Eisa biss sich verlegen auf die
Lippen und duckte sich.
»Finde ihn, finde ihn und mach
dem ein Ende«, knurrte Enver und Eisa huschte davon.
»Nun zu euch«, Killian und Eisa
bereits wieder vergessend, wandte er sich Wynn zu, lief an ihr vorbei und
zerrte Lyndsy an den Haaren hoch. Das kleine Mädchen japste vor Schmerz auf und
etwas regte sich in Mircea. Ohne darauf zu achten, griff Enver ihr in den
Nacken und schubste Lyndsy zum Feuer. Er blieb so nah davor stehen, dass die
Flammen fast an den widerspenstigen roten Haaren leckten und es unheilvoll
knisterte.
»Nein«, Wynn keuchte auf und
machte einen Schritt nach vorne.
»Steh«, keifte Enver, die Hand in
einer abrupten Handbewegung zu ihr austreckend und schubste in der gleichen
Bewegung Lyndsy nach vorne ins Feuer. Sie schrie auf und wehrte sich mit aller
Kraft gegen den eisigen Griff ihres Vaters und plötzlich zerriss etwas in
Mircea.
Sie schrie auf und blaues Licht
hüllte ihren Körper ein. Die Luft um sie herum knisterte und wie elektrisiert
stand ihre rote Mähne vom Kopf ab. Wynn hatte die Augen aufgerissen und Mircea
zerriss ihre Fesseln, als wären diese aus dünnem Papier. Enver keuchte, drückte
Lyndsy jedoch weiter in die Flammen. Er war so auf Mircea konzentriert, dass er
Killian nicht kommen sah, der plötzlich neben ihm stand und einen massiven
Fackelstab auf seinen Kopf nieder sausen ließ. Wie vom Blitz getroffen ging
Enver zu Boden und ließ im Fallen Lyndsy los, die von Killian in der gleichen
Bewegung aus den Flammen gerissen wurde. Er verbrannte sich sämtliche Finger,
ließ sie jedoch nicht los und schleifte das kreischende Mädchen einige Meter
vom Feuer weg, bevor er sie zu Boden sinken ließ und notdürftig mit Sand die
Flammen erstickte.
Enver war währenddessen wieder aufgestanden, benommen
zwar, aber nicht groß verletzt. Er knurrte und ließ dunkelgraue Magie durch
seine Finger fließen. Wie auf Befehl stellten sich Wynn und Eisa vor ihn,
während weitere Gesellen und unter Magie gezwungene Hexen sich um sie herum
aufbauten.
Killian ließ Lyndsy am Boden
liegen, nachdem er alle züngelnden Flammen gelöscht hatte und stellte sich
neben Mircea. Zwei gegen ein Dutzend.
»Was denn, ihr beide alleine
gegen uns alle?«, lachte Enver höhnisch.
Killians Herz zog sich zusammen,
aber Mircea neben ihm leuchtete geradezu vor Entschlossenheit.
»Ich fürchte euch nicht«, meinte
sie kalt.
»Und außerdem«, erscholl eine
Stimme in der klaren Nacht. »Ist sie nicht alleine.« Freya trat aus den
Schatten und hinter ihr folgten Jaime, Kaitlyn und weitere Hexen aus dem
Zirkel.
»Na ihr paar Witzgestalten werdet
auch nichts daran ändern, dass ihr gnadenlos unterlegen seid.«
Mircea lächelte nur kalt. Dann
explodierte etwas inmitten des Feuers und das Chaos begann.
Enver zog sich hinter seine
Gefolgsmänner zurück und hielt Wynn am Arm fest. Besorgt musste er mitansehen
wie seine Männer den Hexen kaum etwas entgegen zu setzen hatten und Killian
sich ihm gefährlich schnell näherte. Er sah zu Wynn.
»Du weißt was du zu tun hast.«
Die schwarzen Augen völlig regungslos nickte sie und stellte sich Killian
entgegen, während Eisa sich zu Lyndsy schlich, die immer noch bewusstlos am
Boden lag.
»Nein«, Mircea trat ihr in den
Weg und sah ihre Freundin an. »Du wirst sie nicht anrühren, es reicht, dass du
mein Herz gebrochen hast.«
»Dein Herz gebrochen?«, trocken
lachte Eisa auf. »Hast du wirklich geglaubt du würdest mir etwas bedeuten? Du?«
Ihre Stimme triefte vor Hohn. Bevor Mircea etwas erwidern konnte, traf sie ein
magischer Stoß in den Rücken und sie wirbelte herum. Enver stand hinter ihr,
die Hände hoch erhoben und dunkelgraue Magiefäden pulsierten um ihn herum.
»Du gehörst mir«, seine Stimme
brannte vor Hass und ohne Vorwarnung stürzte er sich auf Mircea. Diese schrie
laut auf und ließ ihre Magie durch sich wirken und versuchte ihn abzublocken.
Im ersten Moment gelang es sogar, doch dann verdrängte seine Magie ihre fast
völlig.
»Du kannst mich nicht besiegen,
du kannst mich nur stärker machen.« Er drückte sie zu Boden und seine Finger
schlossen sich um ihren Hals. Krampfhaft versuchte Mircea sich zu wehren, doch
Enver hielt sie mit seinem gesamten Gewicht eisern fest. Keuchend rang sie nach
Luft, während seine Finger versuchten ihre Luftröhre zu zerquetschen.
»Du warst nie erwünscht! Ich
brauchte nur deine Kraft. Und diese wirst du mir heute geben, du dreckige
kleine Missgeburt deiner Mutter.«
Mircea tanzten Sterne vor den
Augen und ihre Arme fielen schlaff zu Boden, sie hatte keine Kraft mehr zu
kämpfen. Sie war nicht stark genug. Sie würde nie stark genug sein.
»Nein«, ein Schrei fegte durch ihre
Gedanken und im gleichen Moment ließ der Druck auf ihrer Kehle nach. Gierig
schnappte sie nach Luft und verdrängte die bleierne Dunkelheit, die sich ihrer
bemächtigt hatte.
Enver stand über ihr, sein
Gesicht schmerzhaft zu einer Fratze verzerrt und die hellen Augen entsetzt
aufgerissen.
»Wie«, stammelte er.
Killian lachte rau. »Man sollte
niemals seine Deckung vernachlässigen.«
Ungläubig starrte Enver nach
unten, dann sackte er zusammen. In seinem Rücken steckte ein Messer. Blut troff
an den Rändern hervor und verfärbte die graue Robe dunkel.
Mircea achtete jedoch nicht
weiter auf den Magier, sondern rappelte sich auf und drehte sich zu Lyndsy um.
Sie lag nicht mehr dort, wo sie eben noch gewesen war. Eisa hatte das lautstark
schreiende Mädchen wieder zum Feuer geschleift und die Flammen leckten bereits
gefährlich nah an der Kleidung des jungen Mädchens.
»Nein«, flüsterte sie. »Nein!«,
schrie sie laut und stürzte nach vorne. Eisa riss erschrocken die Augen auf,
doch dann lächelte sie zufrieden. Und stieß Lyndsy in die Flammen.
In Mircea gefror alles zu Eis.
Lyndsy schrie voller Schmerz. Der Rest des Hofes schien die Luft anzuhalten.
Und dann explodierte die Magie in
Mircea.
In vibrierenden blauen Wellen
stob die Magie aus ihr hervor und ließ alles verschwinden. Mit einem lauten
Zischen wurde die Welt eingehüllt und hielt den Atem an. Es wurde still. Und
schwer. Dann gab es einen Knall und alles war verschwunden. Um Mircea wurde es
dunkel. Sie merkte es nicht einmal mehr, als ihr Körper hart auf den steinernen
Untergrund aufschlug.
»Sie hat sie vernichtet, sie hat
die ganze verdammte Magie vernichtet!« Freyas Stimme war eine Spur zu hoch und
klang schrill in Mirceas Ohren. Verbissen kämpfte sie sich aus ihrer Ohnmacht
und sah sich auf dem Hof um. Das Feuer war mittlerweile ausgegangen und der
Boden von schwarzer, schmieriger Asche bedeckt. Fassungslos hockten überall
Gestalten am Boden, manche weinten. Wynn stand neben Killian und kreischte in
einem fort in einer viel zu hohen Tonlage, Mircea verzog schmerzhaft das
Gesicht.
»Was habe ich getan? Was ist
passiert?«
»Nichts was du gewollt hättest.
Du nennst zwei gewaltige Kräfte dein Eigen. Deine eigene und die der
Hexenkönigin, die du nicht kontrollieren kannst. Dies alles hast nicht du
getan, sondern die Macht in dir!« Killian nahm sie sanft in die Arme und
drückte sie an sich, bis ihre Schreie zu lautlosen Schluchzern verebbten.
»Was hast du getan, du dummes Gör«,
keifte Freya plötzlich in ihr Ohr. Erschrocken wich Mircea einige Schritte
zurück und sah sie betroffen an.
»Lass sie in Ruhe«, meinte eine
ernste Stimme neben ihr. Jaime trat vor Mircea und schirmt sie so etwas von
Freya ab, die vor Wut schäumte.
»Was habe ich denn getan«,
nuschelte Mircea fragend.
»Du hast die Magie ausgelöscht!
Ob von Dauer oder nur für den Moment wird sich noch zeigen, aber du hast
sämtliche magische Energie aufgesaugt und mit einem Mal explodieren lassen. So
etwas ist noch nie geschehen, zumindest nicht in dem Ausmaß«, antwortete Jaime
ernst. Ihre braunen Haare hingen hier zerzaust und an manchen Stellen leicht
angesengt im Gesicht. In ihren Augen brannten unterdrückte Tränen.
»Aber wie …«, stammelte Mircea.
»Keine Ahnung und es ist auch
egal!« Jaime streckte ihr eine Hand entgegen und half ihr auf die Füße.
Langsam ließ Mircea ihren Blick
schweifen. Der Burghof sah grauenhaft aus und ihr Herz zog sich zusammen als
sie Lyndsy nirgends entdecken konnte.
»Lyndsy, was ist mir ihr?«, wagte
sie dennoch zu fragen.
Jaime sah sie mit tieftraurigem
Blick an. »Es tut mir Leid!« Mehr war nicht nötig. Tränen schossen Mircea in
die Augen. Sie hatte ihre Schwester kaum gekannt, aber niemals hätte sie
gewollt, was heute Nacht geschehen war. Niemals!
Kommentare
Kommentar veröffentlichen
Mit Absenden eines Kommentars und beim Setzen eines Hakens für weitere Benachrichtigungen auf Folgekommentare erklärst Du Dich einverstanden, dass personenbezogene Daten (z.B. IP-Adresse, Standort des Logins etc.) eventuell abgespeichert und von Google weiterverarbeitet werden.
Weitere Informationen findest Du hier:
Hier findest Du die Datenschutzerklärung von Google:
Datenschutzerklärung von Google/Blogger
Hier findest Du die Datenschutzerklärung von dieser Website:
Datenschutzerklärung von Sternenfetzen