Teil 2 / Schattennacht


Am Ende wusste Mircea nicht wie lange sie gelaufen war. Der Wald war immer dichter geworden und irgendwann gelangte kein Sonnenstrahl mehr durch das dichte Geäst. Trotzdem lief sie wie benommen immer und immer weiter, bis ein tiefhängender Ast durch ihr Gesicht streifte und einen tiefen Kratzer hinterließ. Überrascht fasste sie nach der leicht blutenden Wunde und betrachtete die rote Flüssigkeit auf ihren Fingern. Erst dann kam auch der brennende Schmerz und sie zuckte zusammen. Sich erst jetzt ihrer Umgebung bewusst werdend, sah sie sich überrascht um.
Wo zum Teufel war sie nur?
Nichts kam ihr bekannt vor. Nur Bäume, Bäume und noch mehr Bäume.
Missmutig biss sie sich auf die Lippen, grummelte etwas in ihren Bauch und sah sich noch einmal um. Nichts wies ihr den richtigen Weg. Wie auch? In diesen Teil des Waldes war wahrscheinlich noch nie jemand vorgedrungen, oder aber zumindest nie wieder herausgekommen. Cress währenddessen schnurrte sanft auf ihrer Schulter und rieb ihre Nase an Mirceas Wange wie um ihr Mut zu machen, dass sie nicht alleine war. Aber viel konnte es dem Mädchen nicht helfen, denn noch immer wusste sie nicht wo sie war und langsam verspürte sie neben Müdigkeit auch ein nagendes Hungergefühl. Und dann fühlte sie sich plötzlich beobachtet. Sie wusste nicht wo dieses Gefühl herkam, aber es nagte an ihr und trieb sie weiter. Ohne zu wissen wohin sie gehen sollte, schlug sie einfach die erstbeste Richtung ein und da Cress nicht protestierend miaute, ging sie weiter.
Schon bald vernahm sie das rauschende Geräusch von fließendem Wasser und bald kam sie an einen kleinen Fluss, der wie ein klares, silbernes Band durch den Wald floss. Voller Freude seufzte sie auf und ließ sich auf die Knie fallen, tauchte die Hände in das eiskalte Nass und trank, bis sie nichts mehr trinken konnte. Irgendwie schaffe sie es, sich ein paar Meter weiter zu schleppen, sank ins tiefe Gras und war Sekunden später eingeschlafen.
Sie wusste nicht, was sie weckte, aber irgendetwas war nicht normal.
»Bleib unten«, zischte eine Stimme neben ihr und eine große, raue Hand drückte sich auf ihren Mund. Überrascht schnappte sie nach Luft, blieb aber ruhig. Die Aura, die von dem Fremden ausging, war nicht feindselig. Warum sie dies einfach so hinnahm, wusste sie nicht, aber sie tat es. Es dauerte eine Weile, bis er sie losließ und sich vorsichtig aufrichtete.
»Warte hier, ich bin gleich zurück.« Lautlos sprang er auf die Füße und entfernte sich kreisförmig laufend von ihrem Platz, immer wieder innehaltend und in den Wald lauschend. Die Nacht war ruhig, sehr ruhig, zu ruhig. Mircea drehte vorsichtig ihren Kopf und versuchte ebenfalls etwas zu erhaschen, aber es drückte sich nur diese unheimliche Stille auf ihre Ohren und ließ knackende Geräusche durch ihre Gedanken jagen.
»Verdammt«, flüsterte sie und schüttelte den Kopf, dann richtete sie sich auf und sah sich um. Von dem fremden Mann war nichts zu sehen und auch nichts zu hören, aber sie wollte nicht warten, bis etwas geschah. Doch bevor sie mehr als zwei Schritte machen konnte, kam ein Schatten auf sie zu. Gerade als sie anfangen wollte zu schreien, erkannte sie seine Silhouette und unterdrückte das Geräusch im letzten Moment.
»Ich hab dir doch gesagt, dass du warten sollst«, knurrte er sie an und musterte sie von oben bis unten.
»Wer bist du?«, stammelte Mircea überrascht, bevor sie angemessen auf den Ton des Fremden reagieren konnte.
»Mein Name ist Killian, und ich habe nach dir gesucht!«
»Nach mir?«, Mircea zog die Stirn kraus und sah ihn zweifelnd an.
»Ja dich! Du leuchtest wie ein Signalfeuer. Hat dir niemand gezeigt wie man seine Kräfte abschirmt? Ich habe dich vor ein paar Tagen das erste Mal wahrgenommen und dann wurde es immer mehr, bis ich dich nicht mehr ignorieren konnte. Genauso wie wahrscheinlich einige andere mehr, die nicht so gute Absichten haben wie ich. Ein Wunder, dass dir noch keiner was angetan hat«, tadelnd sah er sie an und sie zuckte zusammen und fühlte sich schuldig, ohne zu wissen warum.
»Aber, aber…«, stammelte sie.
»Ich muss deine Kraft abschirmen, danach erzählst du mir, wer du bist und warum du wie eine Leuchtfackel durch die Gegend läufst und dich quasi als Beute nur so anbietest.«
Mircea senkte den Kopf und scharrte mit dem linken Fuß im Dreck, sie wusste nicht, warum sie die Worte des Fremden so trafen, eigentlich hätte sie wütend sein müssen wie er mit ihr redete, aber etwas hielt sie davon ab. Vielleicht weil sie spürte, dass er wahre Worte sprach und wirklich um ihr Wohl besorgt zu sein schien.
Ihre Gedanken unterbrechend trat er auf sie zu und legte die Hände rechts und links an ihr Gesicht. Vorsichtig näherte er sich ihrem Gesicht bis sich ihre Nasenspitzen fast berührten und sie seinen Atem an ihren Lippen spürte. Überrascht nahm sie seine warmen Fingerspitzen wahr und ein leichtes Kribbeln brodelte in ihrem Bauch. Dann war es vorbei. Unvermittelt ließ er sie wieder los und trat ein paar Schritte zurück.
»So, das wäre geschafft. Du leuchtest immer noch, aber damit sollten wir klarkommen. Und jetzt komm mit, ich will wissen wer du bist und für wen ich hier gerade mein Leben riskiere.« Grummelnd ging er einige Meter am Bachlauf entlang, bevor er einen fast unsichtbaren Trampelpfad betrat und darauf verschwand. Mircea fühlte sich leer. Nachdem seine Fingerspitzen den Kontakt mit ihrer Haut verloren hatten, fühlte sie sich nackt und entblößt und leer. Trotzdem folgte sie ihm. Sie wusste nicht, was sie sonst hätte tun können.
Sie liefen eine ganze Weile durch den dichten Wald, immer den kaum zu erkennenden Trampelpfad entlang, bis sie auf eine kleine Lichtung stießen. Hier stand eine kleine, schief zusammen gezimmerte Holzhütte, aus ihrem kleinen, krummen Schornstein quoll dichter Rauch. Ohne anzuklopfen stieß Killian die Tür auf und trat ein. Mircea folgte ihm zaghaft und war sofort überrascht. Die kleine Hütte quoll vor Büchern über. Überall lagen und standen dicke und dünne in Leder gebundene Werke. Dazwischen ragten grüne Pflanzen auf und gaben dem Raum einen frischen Eindruck. Staunend sah Mircea sich um. Holz, Bücher, Pflanzen; daraus schien der Wohnraum zu bestehen.
»Genug geschaut? Dann komm in die Küche, ich habe Tee für dich, du kannst ihn gebrauchen.«
Mircea biss beschämt auf ihre Unterlippe und folgte der Stimme in den angrenzenden Raum. Hier köchelte ein Teekessel auf einer kleinen Feuerstelle und auf dem Tisch standen bereits zwei Tassen mit frischen Kräutern, die nur noch auf das heiße Wasser warteten.
»Also setz dich und dann erzähl«, er deutete auf einen leergeräumten Stuhl, dann goss er den Tee auf und stellte die Tasse vor Mircea auf den Tisch. Würziger Duft von frischen Kräutern zog ihr in die Nase und ließ ihre Lebensgeister begeistert aufjaulen.
»Was soll ich denn erzählen«, fragte sie verunsichert.
»Fangen wir doch von vorne an«, seufzte er genervt auf. »Wie heißt du?«
»Mircea und das ist Cress«, sagte sie und deutete auf die kleine schwarze Katze, die es sich wieder auf ihrer Schulter bequem gemacht hatte. Killian nickte nur.
»Seit wann hast du deine Kräfte? Und warum hat dir niemand gezeigt wie man mit diesen umgeht? Du bist eine Gefahr für dich und andere!« Seine Stimme war ruhig, aber sie konnte den Tadel dahinter geradezu spüren.
Mircea biss sich auf die Lippen und wusste nicht was sie antworten sollte, als Killian sich vor sie kniete und ihr Kinn in seine Hand nahm und ihr Gesicht zu seinem drehte.
»Erzähl mir einfach was passiert  ist. Es ist egal, ob es das ist was ich hören möchte oder nicht. Erzähl es mir einfach. Okay?«
Mircea nickte.
»Gut«, er erhob sich wieder und kehrte zu seinem Stuhl zurück, wobei seine Hand durch Cress´ Fell glitt, die zufrieden schnurrte. Überrascht sah Mircea auf und begann dann zu erzählen und hielt erst inne, als sie in die Gegenwart zurückkehrte.
»Hm«, nachdenklich fuhr sich Killian durch die Haare. »Verzwickt, sehr verzwickt. Aber darüber denken wir morgen nach. Erst einmal solltest du eine Runde schlafen, sonst knallst du noch mit deinem Kopf auf meinen Tisch und ich möchte nicht wissen, wer von euch mehr standhält. Komm mit.« Er erhob sich und bedeutete Mircea, ihm zu folgen. Vollkommen erschöpft folgte sie ihm in einen kleinen angrenzenden Raum, in dem ein Bett stand. Dutzende Bücher lagen auf dem Boden verstreut. Es schien keinen Quadratzentimeter zu geben, der nicht von Büchern bedeckt gewesen wäre.
»Ignoriere die Bücher, das Bett gehört dir. Mach es dir gemütlich. Du brauchst den Schlaf.« Mit diesen Worten ließ er sie alleine in dem Raum zurück und schloss die Tür hinter sich.
Seufzend ließ sich Mircea auf das Bett nieder und sah sich um. Sie wollte mehr über Killian erfahren und mehr über diese seltsame Hütte, doch sie konnte kaum noch die Augen offen halten. Ohne sich auszuziehen ließ sie sich rückwärts ins Bett fallen und war eingeschlafen, bevor ihr Kopf das Kissen auch nur berührte.

Sie schlief tief und fest und vor allem lange. Anderthalb Tage war sie einfach in ihren Träumen gefangen und war nicht aufzuwecken. Killian versuchte es jedoch auch nicht, er wusste, was unkontrollierte Hexenfähigkeiten an Kraft kosteten und er wollte, dass sie sich erholen konnte. Er wusste selbst nicht genau, warum er dem Mädchen half. Sie war jung, zu jung um eine Hexe zu sein, aber etwas an ihr hatte ihn angezogen und je öfter er nach dem Mädchen sah umso mehr dämmerte ihm auch warum. Es war ihm am Anfang nicht aufgefallen, aber langsam nahm er Ähnlichkeiten an ihr wahr, die nur zu ihr gehören konnten. Die kleine stupsige Nase. Die Struktur ihrer dicken, fuchsroten Haare. Aber vor allem der Ausdruck in ihren tiefgrünen Augen als er sie gefunden hatte.
Er seufzte entnervt. Er hatte sich geschworen, sich von dieser Frau fernzuhalten, sie nie wieder in sein Leben zu lassen. Sie zu vergessen. Oder wenigstens zu verdrängen. Und jetzt lag dieses Mädchen in seinem Bett, welches ihr wie aus dem Gesicht geschnitten war. Wiederholt seufzte er entnervt, als ein Geräusch ihn aus seinen Gedanken riss. Er fuhr herum und sah Mircea im Türrahmen stehen. Sie hatte sich eines seiner Hemden um den dürren Oberkörper gewickelt und sah ihn schüchtern unter dem dichten roten Pony an.
»Du bist wach«, stellte er kühl fest. Mircea nickte nur, sie wusste nicht was sie erwidern sollte. Sie konnte Killian einfach nicht einschätzen. Er war so kühl und abweisend, gleichzeitig aber auch warm und besorgt. Sie wurde aus ihm einfach nicht schlau.
»Komm«, unterbrach er schließlich die Stille. »Ich mach dir ein wenig Suppe warm, du musst etwas essen.« Mircea nickte wieder und folgte ihm in die Küche. Dort setzte er ihr einen Teller mit heißer Suppe und frisch gebackenes Brot vor und betrachtete sie schweigend wie sie alles in sich hinein schaufelte. Dann schwiegen sie, lange, zu lange.
»Also was du erzählt hast. Du hättest deine Kräfte noch nicht erhalten dürfen, du bist viel zu jung, aber gut, es ist eben wie es ist. Und du musst lernen wie du mit deinen Fähigkeiten umgehen musst, bevor du auch noch mein Heim in Brand steckst.«
»Heißt das, ich darf hier bleiben?«
»Vorerst«, brummte er und strich sich die blonden Haare aus dem Gesicht. Mircea nickte. Vorerst klang immer noch besser als gar nicht.
»Jedenfalls, wir müssen dafür sorgen, dass du Kontrolle über deine Kräfte erlangst und weder eine Gefahr für dich noch für andere darstellst. Das werden wir als erstes verwirklichen müssen, ich kann nicht ewig deine Aura abschirmen und deine Kräfte unterdrücken. Zu anstrengend und nicht Sinn der Sache.« Mircea nickte, obwohl ihr der Kopf rauchte und sie nur die Hälfte wirklich mitbekam.
»Damit werden wir also beginnen, vorher aber solltest du dich waschen und dir neue Sachen anziehen, vielleicht finde ich noch etwas, was dir passt.« Nachdenklich betrachtete er ihre Gestalt. »Doch das müsste gehen«, murmelte er vor sich. »Wenn du die Hütte verlässt, wende dich nach links und gehe ein paar Schritte in diese Richtung, hinter den kleinen Hügeln ist ein Bachlauf, da kannst du dich waschen, neben der Haustür liegt ein Tuch, trockne dich damit ab und komm dann wieder, vielleicht habe ich bis dahin etwas passendes für dich zum Anziehen gefunden. Deine Fetzen kannst du ja niemandem mehr antun und meine Hemden passen dir ja nun auch nicht wirklich.« Seine eisgrauen Augen sprühten belustigt auf und auch seine Mundwinkel zuckten leicht.
Errötend und leicht beschämt sprang Mircea auf die Füße und verließ die Küche mit heißen Wangen. Es war ihr peinlich, aber sie hatte am Morgen vor dem Problem gestanden, was sie anziehen sollte. Ihre eigene Kleidung war dermaßen verdreckt und stank, dass sie diese nicht einmal mehr mit der Fingerspitze anfassen wollte und mehr als sein Hemd hatte sie nicht gefunden. Früh war es ihr wie eine gute Idee vorgekommen, jetzt war sie sich nicht mehr so sicher, aber ändern konnte sie es nun auch nicht mehr.
Cress schloss sich ihr draußen an, als sie zum nahen Bach lief und strich ihr betont munter um die Beine und schnurrte voller Wonne.
»Wo bist du eigentlich immer, wenn ich Unterstützung brauchen könnte?«, murrte Mircea leise vor sich und genoss das Gefühl der warmen Sonne auf ihrem Gesicht.
Das Wasser des Baches war eiskalt, belebte aber ihre Lebensgeister und sie fühlte sich herrlich frisch und wie neu geboren. Lächelnd trat sie den Rückweg zur Hütte an, als Killian ihr entgegen kam. Knapp nickte er ihr zu.
»Ich habe dir Anziehsachen in die Küche gelegt, sie sollten dir passen.« Dann ging er weiter und verschwand hinter ein paar Bäumen. Plötzlich fröstelnd rieb sie sich die Arme und lief schnell zurück. Wie versprochen lag ein Bündel in der Küche und sie faltete es vorsichtig auseinander. Instinktiv hielt sie die Luft an, die Sachen waren wunderschön. Ein weiches, tiefgrünes Kleid, welches ihr angezogen bis zu den Knöcheln reichte und ihre Augen widerspiegelte und einen wunderbaren Kontrast mit ihren roten Haaren herstellte. Die langen Ärmel reichten bis über ihre Fingerspitzen, ansonsten passte es ihr aber wie angegossen. Dazu zog sie leichte schwarze Schuhe an und band ihre lange Mähne mit einem schwarzen Lederband zurück. Cress nahm Anlauf und sprang ihr leichtfüßig auf die linke Schulter um sich dort niederzulassen.
»Wie eine Hexe«, kommentierte eine Stimme von der Tür aus und Mircea fuhr erschrocken herum. Killian stand dort im Licht der Sonne und lächelte ernst. Verlegen strich Mircea sich über die Ärmel und biss ich auf die Lippen.
»Hör auf dir immer auf die Lippe zu beißen, sonst hast du bald keine mehr. Eine Unart, die du dir abgewöhnen solltest. Vor allem, wenn du nicht willst, das dein Gegenüber wie in einem offenen Buch in dir lesen kann.« Mircea nickte und biss sich wieder auf die Lippe. Schnell lockerte sie aber ihren Biss und versuchte sich zusammen zu reißen.
»Gut«, Killian nickte. »Dann sollten wir damit beginnen wie du deine Kräfte unter Kontrolle bekommst. Komm her.« Er streckte ihr seine Hand hin und zog sie zu sich, so dass sie genau vor ihm stand. »Schließe die Augen«, gurrte er leise und sie tat was er von ihr wollte. Dann legte er wieder seine Hände rechts und links auf ihr Gesicht und seine warmen Fingerspitzen pulsierten mit dem Blut in ihrem Körper.
»Konzentriere dich«, flüsterte er und lenkte sie mit seinen Worten. »Fühle deine Kraft. Warte, ich zeige es dir.« Tief holte er Luft und zeigte ihr ein Knäuel aus blauem Licht in ihrem Inneren. »Dies ist deine Kraft, zumindest sinnbildlich und du musst lernen sie in dir zu lenken. Spüre sie. Halte sie. Entwirre sie und sortiere sie vor allem.« Langsam stieß er seine Luft aus und sanft kräuselte sich das Knäul. Mircea wusste nicht woher sie verstehen konnte, was er meinte, aber sie tat es. Sie griff in ihr eigenes Inneres und spürte plötzlich die Präsenz einer Macht in sich, die sie vorher nicht hatte wahrnehmen können.
»Gut so«, murmelte Killian in ihr Ohr. »Und nun ziehe sie glatt und in deine Blutbahn.« Mircea runzelte die Stirn, doch da zeigte Killian ihr schon wie sie dies verwirklichen konnte. Es war einfach, wenn man wusste was man tun musste.
»Dies ist die einfachste Übung und sie ist überlebenswichtig. Wer sie nicht lernt, ist nicht mehr lange am Leben. Entweder du zerstörst dich selbst oder andere finden dich und reißen deine Macht aus dir heraus, was dich ebenfalls höchstwahrscheinlich das Leben kosten wird.« Mircea zuckte zusammen, doch Killian ließ ihr Gesicht nicht los.
»Beherrsche deine Macht, sauge sie in dir auf und mache es so selbstverständlich wie atmen.« Damit ließ er sie los und Mircea ging in die Knie, alle Kraft hatte sie plötzlich verlassen.
»Entschuldige, ich hätte dir sagen können, dass das enorme Kraft kostet, aber es wird leichter und irgendwann ist es wirklich wie atmen, du bekommst es gar nicht mit. Übe es so oft es geht, bis du nicht mal mehr daran denken musst und es ganz von alleine geschieht. Ich kann dich noch eine Weile abschirmen, aber ich hoffe du lernst schnell. Auch um deinetwillen.« Mircea nickte kraftlos und zog sich auf einen freien Stuhl in der Küche.
»Du kannst den Rest des Tages machen was du willst, wenn du dich fit genug fühlst, dann übe. Ansonsten kannst du rausgehen oder lesen oder was auch immer du machen magst, aber gehe nicht zu weit weg. Ich muss dich spüren können um deine Kraft zu unterdrücken und außerdem kann man sich da draußen viel zu leicht verlaufen.« Wieder nickte Mircea nur, unfähig etwas zu sagen.
»Na du bist ja wirklich wunderbar gesprächig«, grummelte Killian und verließ die Hütte.

So verging die erste Woche. Mircea hatte nicht mehr zu tun als zu üben wie sie ihre Kraft einkapseln konnte. Killian half ihr dabei und zeigte ihr verschiedene Möglichkeiten wie sie es tun konnte, ohne dass sie auch nur daran denken musste und nach und nach wurde es für sie leichter. Sie dachte immer weniger an die Gefahr in sich und verschlang dafür Bücher um Bücher. Sie waren so unterschiedlicher Art, dass es ihr einfach nicht langweilig wurde in ihnen zu lesen. Es gab welche über Pflanzen, über Tiere, über Magie und über Hexen. Nicht alles für sie war neu, aber besonders was sie über Magie und Hexen lesen konnte, versetzte sie in eine andere Welt. Niemals hätte sie es für möglich gehalten, dass so etwas wirklich existieren konnte. Aber das tat es. Sie war der beste lebende Beweis dafür. Zudem lernte sie Killian besser kennen, auch da sie ihren Wissensdurst einfach nicht auf die Bücher beschränken konnte und ihm Frage über Frage stellte. Nie ungeduldig, hörte er sich alles an und beantworte ihre Fragen so gut er konnte. Killian selbst wusste nicht warum. Er war nie ein besonders geselliger Mensch gewesen und alles an Mircea erinnerte ihn schmerzlich an glücklichere Zeiten, aber sie war auch wie die Sonne an besonders dunklen Tagen. Sie sprühte Lebensfreue und Glück aus, etwas, was er schon lange vermisst hatte. Sie hatte seinen Kokon aus selbst gewählter Einsamkeit durchbrochen und ließ ihn nicht mehr los. Doch keiner wusste wie lange das noch gut gehen konnte.

Nach und nach brachte Killian ihr nicht nur das Leben in der Wildnis bei, sondern auch wie man Hexenkräfte anwendete und sogar wie man kämpfte. In letzterem war Mircea mehr als schlecht, sie stolperte andauernd über ihre eigenen Füße und ließ ständig ihre Waffen fallen, egal womit sie es versuchten. Irgendwann gab es Killian genervt auf, er konnte es nicht mehr ertragen, sie hilflos wie einen blinden Welpen über die Lichtung hoppeln zu sehen und sich selbst aufzuspießen. Lieber vertiefte er ihr Wissen über die Welt der Pflanzen und über die Hexerei. Und Mircea sog alles auf wie ein ausgetrockneter Schwamm.
Dass es so nicht ewig weiter gehen konnte, hätte allen klar sein müssen. Mircea war jetzt seit vier Wochen bei Killian und sie hatten sich hauptsächlich bemüht, ihre Kraft unter Kontrolle zu bringen und leichte Anwendungen zu üben. So konnte sie nach ein paar Tagen leichte Dinge schweben lassen und oberflächliche Wunden mit ihrer Kraft heilen. Und Mircea machte dies alles glücklich. Nie hätte sie gedacht, nach dem Tode ihrer Großmutter wieder ein Gefühl von Glück empfinden zu können, aber sobald die Macht durch ihre Venen floss, fühlte sie sich gut. Gut und stark, als könnte sie es mit der ganzen Welt aufnehmen. Dabei wusste sie nicht mal einen Bruchteil von dem, was mit ihrem Erbe auf sie zukommen sollte. Und wenn sie es gewusst hätte, dann hätte sie sich irgendwo verkrochen und wäre niemals wieder hervor gekommen.

Es war nach der vierten Woche bei Killian. Die Tage wurden wärmer, die Sonne kam öfter hinter den Wolken hervor und die Strahlen kitzelten ihr bereits in der Nase. Sie hatte sich in den vier Wochen verändert. Ihr Körper war runder geworden, was nicht nur an Killians Kochkünsten sondern auch an den Kampfstunden lag. Ihre Haare waren dicker und länger, eine Nebenwirkung ihrer Zauberkraft. Und ihre Augen strahlten mehr als früher. Wie tiefe grüne Moorseen leuchteten sie in ihrem blassen Gesicht, welches ein paar Sommersprossen um die Nase hervor blitzen ließ. Auch war sie selbstsicherer geworden und hatte ein Vertrauen in sich entdeckt, welches ihr bisher fremd gewesen war. Sie war keineswegs ein schüchternes Kind gewesen, aber allzu viele soziale Interaktionen hatte es eben auch nicht gegeben, immerhin war sie die Enkelin der Weisen Frau gewesen und mit so jemand pflegte man keine engen Kontakte. Etwas, das Mircea nie gestört hatte, war es ihr doch nie so bewusst gewesen und zudem hatte sie Cress gehabt. Die schwarze Katze war alles was sie je im Leben gebraucht hatte und auch heute war sie ihr die wichtigste Gefährtin.
Doch alles sollte sich ändern, schon wieder.

Es begann in der Nacht mit vereinzelten Ereignissen, die nicht erklärbar waren. Sachen waren umgestürzt oder gar zerstört. Im alten Holz der Hütte fanden sich tiefe Kratzspuren. Fensterscheiben waren am Rand gesplittert. Vorräte waren geplündert oder ungenießbar gemacht worden. Killian wurde zunehmend unruhiger und Mircea spürte seine Gereiztheit, die sie ebenfalls unruhig machte. Sie wusste nicht, was dies alles zu bedeuten hatte und jeder Versuch mit Killian darüber zu reden, verlief in einer Sackgasse. Sobald sie versuchte auf das Thema zu sprechen zu kommen, blockte er ab und entzog sich dem Gespräch. Wenn dies gerade nicht möglich war, wurde er ruppig und ließ sie spüren, dass er darüber nicht reden wollte.
Mircea fühlte sich unwohl und lag nachts oft wach und wusste nicht was sie tun sollte. Sie hatte sich so gut gefühlt und nun wurde es so unangenehm. Alles was sie in den letzten Wochen erlebt und gefühlt hatte wurde überschattet von dem Gefühl überflüssig und nervig zu sein. Warum hatte Killian sie überhaupt hier geduldet? War er nicht sonst ein Einzelgänger? Hatte er es nur einfach nicht übers Herz gebracht sich ihrer zu entledigen und sie war eigentlich nur ein Dorn in seinen Augen? Die Gedanken fraßen sich Nacht für Nacht durch Mirceas Gedanken und setzten sich immer weiter fest. Irgendwann konnte sie diese auch am Tage nicht mehr von sich fernhalten und als die Ereignisse immer aufdringlicher und aggressiver wurden, beschloss sie zu gehen. Sie konnte hier nicht mehr bleiben. Killian brach ihr das Herz. Und das wo sie es gerade wieder zusammen geklebt hatte.
Nach einem besonders schweigsamen Abend packte sie ihre Sachen in einen kleinen Leinensack und legte noch ein paar Nahrungsmittel dazu, die sie sich beim Abendessen aufgehoben hatte. Es würde nicht lange reichen, aber sie hatte sowieso keinen Plan wohin sie gehen sollte und da war ein wenig besser als nichts. Zudem wusste sie von Killian welche Pflanzen gerade wuchsen und essbar waren, womit sie sich eine Zeitlang notfalls über Wasser halten konnte. Bei dem grünen Kleid haderte sie lange mit sich, aber am Ende packte sie es mit in das Bündel. Sie liebte es und es würde ihr Herz brechen, wenn sie es zurück lassen müsste, auch wenn es eigentlich Killians war. Aber was sollte er damit schon noch anfangen? Anziehen würde er es ja wohl kaum.
Als der Mond hoch am Himmel stand und sie sicher war, dass Killian schlief, schlich sie sich aus dem Haus. Instinktiv hielt sie bei jedem Schritt den Atem an und wartete, bis sie sich sicher war, dass niemand sie gehört hatte. Draußen war es ebenfalls still. Nichts war von dem zu ahnen, was am nächsten Morgen wahrscheinlich wieder passiert sein würde, wenn die Unholde ihren Unfrieden stifteten. So oft Killian sich auch nachts auf die Lauer gelegt hatte, niemand war ihm ins Netz gegangen. Die Nächte waren dann ruhig und ereignislos verlaufen, meistens war dann nur in der Nähe, außerhalb ihrer Reichweite, etwas zerstört worden.
Auch heute Nacht war es ruhig. Nur der Wind rauschte durch die Baumwipfel und ließ die Stämme erzittern. Tief atmete Mircea die kalte Luft ein und zog ihren Umhang fester um sich. Dann ging sie los. Einfach ihren Füßen nach. Ohne Ziel, ohne Plan. Nur weg von hier. Weg von dem frustrierten launischen Killian, der ihr gezeigt hatte, zu was sie in der Lage war und wie sie so überleben konnte. Weg von der Hütte, die ihr in den letzten Wochen zur Heimat geworden war Weg von allem. Und Cress. Die Katze hatte sich in der letzten Zeit ebenfalls rar gemacht und hatte Mircea damit ein Gefühl der Leere gegeben, in Zeiten, wo sie sie hätte gebrauchen können. Aber sie wollte dies alles hinter sich lassen, egal wohin ihr Weg sie führen würde, sie würde es meistern. Wie alles was sie bisher geschafft hatte.
Du hast nichts alleine geschafft bisher, immer hattest du Hilfe, du warst nie allein. Du wirst es nicht schaffen! Böse Stimmen wisperte der Wind ihr in ihr Ohr und ließ sie frösteln. Entschlossen schüttelte sie die Worte ab, aber sie ließen sich nicht vertreiben. Immer wieder kamen sie in ihren Kopf, ließen sie zweifeln und innerlich absterben.
»Ich schaffe das, ich kann das, ich bin stark«, immer wieder murmelte sie die Worte vor sich hin, aber sie konnten sich nicht in ihr Herz setzen. So stark und warm ihre Worte waren, sie konnten den Panzer um ihr Herz nicht durchdringen und bissen sich daran die Zähne aus.
Bleib stehen! Du bist nichts wert! Du bist schwach und wertlos! Bleib stehen!
Mircea fiel auf die Knie und trockene Schluchzer brachen sich aus ihrer Kehle. War sie wirklich so schwach? So wertlos? Ihre Mutter wollte sie nicht haben. Ihre Großmutter hatte sie verlassen. Das Dorf hatte sich gegen sie verschworen, sie gehasst. Und Killian? Killian hatte sich nie für sie interessiert, nur für ihre Kraft! Er wollte sie zu seinem Hündchen machen und sie kontrollieren. Ihre Kraft würde dann die seine sein.
»Nein!«, laut schrie sie das Wort in die Nacht und es brach den Bann. Um sie herum wurden schwarze, halb durchsichtige Gestalten sichtbar und erschrocken riss sie die Augen auf. Dunkelalben, überall Dunkelalben. Sie flüsterten ihr die falschen Gedanken ins Ohr und ließen sie verzweifeln. Ihr Herz kalt werden. Von ihnen konnte nichts Gutes ausgehen und Mircea fing an zu zittern, Sie hatte von den Dunkelalben gelesen und auch Killian hatte ihr von ihnen erzählt. Sie dienten den dunklen Hexen, die sich auf die schwarze Magie fokussierten und ihre Kraft aus Trauer und Schmerz zogen. Sie wollten die Welt ins Unglück stürzen und möglichst viel Chaos und Leid über die Menschen bringen. Die Dunkelalben halfen ihnen dabei, sie konnten nur existieren, wenn die Menschen litten. Eine perfekte Kombination, die die Zusammenarbeit der beiden Wesen förderte. Und nun hatten sie Mircea in ihrer Gewalt, wer weiß wie lange schon. Vielleicht hatten sie ihr auch den Gedanken in den Kopf gesetzt, dass sie gehen musste, dass sie Killian verlassen musste, das einzige Zuhause, welches sie noch kannte. Wimmernd fiel Mircea auf die Knie, presste sich die Hände auf die Ohren und versuchte die Gedanken auszublenden, doch die Dunkelalben fraßen sich einfach hindurch. Sie hatten den Weg in ihren Kopf bereits gefunden und nun war es ihnen ein leichtes sich durch die Hindernisse zu quetschen.
»Mircea, lass es nicht zu!« Der Schrei fuhr wie ein Signalblitz durch die dunkle Nacht. »Du bist stärker als sie. Lass sie nicht gewinnen. Du musst sie aussperren. Lass sie nicht gewinnen.« Killians Stimme troff wie warmer Honig durch ihre Schmerzen und ließ ihr Herz kurz aufleuchten.
»Aber sie sind so stark. So stark. So stark.«
»Du bist stärker. Mircea! Lass es nicht zu, dass sie dir etwas anderes einreden. Du. Bist. Stark.«
»Ich bin stark? Ich muss stark sein. Aber wie ist man stark?«
»Ich brauche dich, Mircea. Ich brauche dich!«
All ihre Angst brach sich in einem Schrei. Schrill, laut und verzweifelt. Mircea schrie und gleichzeitig explodierte ihr Herz. Warmes, blaues Licht schoss durch ihre Adern und verdrängte alle Dunkelheit. Wie eine magische Explosion fegte ihre Macht durch den Wald und verbrannte die Dunkelalben ohne innezuhalten. Erst als alle ihre Kraft verbraucht war, fiel sie auf die Knie und blieb dort so hocken. Sie spürte kaum noch, wie Killian bei ihr ankam, sie auf seine Arme hob und weg trug. Ihr Kopf lag an seiner Schulter und sie sog seinen würzigen Geruch nach Rauch ein und ließ sich in der Dunkelheit davon treiben.
»Danke«, murmelte sie noch schwach, dann wurde alles schwarz.

Als sie erwachte war es noch dunkel oder vielleicht auch schon wieder. Sie wusste es nicht so genau, alle Knochen in ihrem Körper taten weh und ein gleichmäßiger Druck hatte sich auf ihren Kopf gelegt. Stöhnend drehte sie sich reflexartig auf die Seite und erbrach sich auf den Holzboden. Sie fühlte sich vollkommen elend und erst nach und nach kamen ihre Erinnerungen zurück.
Stöhnend richtete sie sich auf und hielt sich den Kopf. Alles drehte sich und jeder Knochen in ihrem Körper schien nur aus Schmerzen zu bestehen.
»Mircea«, Killians sanfte Stimme holte sie in die Gegenwart zurück und sie sah ihn im Türrahmen stehend. »Wie fühlst du dich?«
Humorlos zuckte sie mit den Schultern, bereute es aber sofort wieder, als heiße Pein durch ihren Körper schoss.
Killian lächelte leicht und kam auf sie zu, vorsichtig, ohne sie erschrecken zu wollen, streckte er die Hand nach ihr aus, zögerte jedoch mitten in der Bewegung und sah sie nach Erlaubnis bittend an. Als sie keine Ablehnung erkennen ließ, berührte er sanft ihr Gesicht. Wärme durchschoss ihre Haut, wo seine Fingerspitzen auf ihre Wangen trafen und tief einatmend schloss sie die Augen und ließ ihn gewähren. Leicht ließ er seine Kraft in sie hineinfließen und verband diese mit ihrer und ließ den gröbsten Schmerz verblassen. Der Druck schwand aus ihrem Kopf. Die Schmerzen zogen sich zurück. Und erleichtert seufzte sie auf. Ihr Kopf wurde leicht, ihr Körper atmete auf und sie schmiegte sich sacht an seine Hand. Ruckartig riss Killian diese sofort zurück und sah mit einem undeutbaren Blick auf sie herab.
»Entschuldigung«, murmelte er konfus und ließ seinen Blick überall hin und her schweifen nur nicht in ihre Richtung.
»Ich, ich bin in der Küche. Du musst etwas essen, komm, wenn du bereit bist.« Er verließ fast fluchtartig das Zimmer und hinterließ ein leeres Gefühl in ihrem Magen.
»Verdammt«, knurrte sie ungehalten und richtete sich auf. Sich schnell einfach irgendwelche Sachen überziehend, machte sie sich fertig und folgte Killian in die Küche. Verloren saß er da und rührte in einer dampfenden Schüssel vor sich. Er hob nicht den Kopf als sie herein kam und ihm gegenüber Platz nahm und er schwieg, bis sie ihre eigene Schüssel bis auf den letzten Tropfen geleert hatte, erst dann ergriff er wieder das Wort.
»Warum bist du weggelaufen? Du hättest sterben können.« Seine Stimme war leise, irgendwie traurig.
»Du warst so … anders in den letzten Tagen. Ich hatte das Gefühl, für dich nur noch eine Belastung zu sein. Ich meine, du wohnst hier ganz alleine, wer weiß wie lange schon und plötzlich bin ich da und bringe alles durcheinander. Ich dachte, du bereust es, mir geholfen zu haben und weißt nur nicht wie du mich am besten loswerden kannst.«
»Bist du verrückt«, erbost knallte er die Faust auf den Tisch! »Wenn ich dich nicht hätte hierhaben wollen, dann hätte ich es dir gesagt! Verdammt Mircea, ich mache mir doch nicht die ganze Mühe und rette dich aus dem verdammten Wald und zeige dir, wie du deine Kräfte beherrschen kannst um dich dann irgendwo im Wald auszusetzen und sterben zu lassen. Was hältst du von mir«, Wut färbte seine Stimme dunkel, doch es war Wut auf sich selbst und nicht auf das junge Mädchen ihm gegenüber.
»Ich weiß es nicht«, flüsterte Mircea leise. »Jedes Mal, wenn ich mit dir reden wollte, bist du ausgewichen und hast mich abgewürgt oder du wurdest sehr deutlich, dass mich das alles nichts angehe. Ich wusste nicht, ich weiß nicht, was ich davon halten soll, was ich denken soll.«
Mircea sprach leise und zurückhaltend, aber genau das schnitt tief in Killians Herz.
»Es tut mir Leid! Ich wollte dir nicht dieses Gefühl vermitteln. Mircea, vielleicht ist es an der Zeit, dass ich dir etwas erzähle. Etwas, was ich dir vielleicht schon viel früher hätte sagen sollen.« Überrascht sah Mircea auf, Killians Stimme hatte sich verändert, war härter geworden. Als würden ihn diese Worte unglaubliche Energie kosten und als würde er sie nur mit deutlichem Widerwillen aussprechen.
»Was, Killian? Was musst du mir sagen?«
»Als ich dich im Wald entdeckt habe beziehungsweise deine Kraft gespürt hatte, hast du mich an etwas, an jemanden, erinnert. Deine Signatur ist so eindeutig als wäre es in Worten auf deine Stirn gemalt und du siehst ihr so sehr ähnlich. Deine Gesichtszüge, deine Haare, aber vor allem deine Augen.« Seine Stimme verklang und eine unruhige Stille ergriff die beiden.
»Was? Wem sehe ich ähnlich? Killian!«
»Deiner Mutter, der Hexenkönigin.«
»Bitte, bitte was?«, Mircea sah ihn mit aufgerissenen Augen entsetzt an. Wagte es jedoch nicht noch einmal zu fragen und konnte den Gedankensturm in ihrem Kopf einfach nicht unterbrechen. Alles wirbelte durcheinander. Gefühle. Wortfetzen. Fragen.
»Deine Mutter, Mircea, ist die Hexenkönigin. Deine Kraft ist ihrer so ähnlich, dein Aussehen genauso. Als du hier ankamst, habe ich es geahnt. Nachdem du mir deine Geschichte erzählt hast, wusste ich es. Es gab schon immer Gerüchte, dass Wynn eine Tochter habe, doch es gab nie Fakten, die dies belegen würden. Wir haben immer versucht, deine Gegenwart zu verschleiern und niemandem außerhalb der Eingeweihten etwas verlauten zu lassen.«
»Moment«, unterbrach Mircea ihn harsch. »Heißt das, du hast gewusst, dass ich existiere? Heißt das, dass du meine Mutter kanntest und einer ihrer … wie hast du es genannt? Eingeweihter gewesen bist? Woher kennst du sie? Wie ist sie? Wieso hat sie mich verlassen?« Mirceas Stimme brach.
»Mircea«, Killian ergriff ihre Hand und hielt sie fest. »Ich kenne deine Mutter. Nein, ich kannte sie als sie noch Wynn war und nicht das Monster von heute. Deine Mutter, sie hat dich geliebt, aber sie konnte es nicht riskieren, dass ihre Feinde dich in die Finger bekommen. Deine Macht ist ihrer ebenbürtig, wenn nicht sogar stärker. Deine Großmutter war die perfekte Wahl, sie alleine konnte dich so aufwachsen lassen wie du es verdient hast, aber etwas ging schief. Deine Mutter geriet an die falschen Menschen und wurde zu dem was sie heute ist, die schwarze Hexenkönigin. Sie versucht, die Welt in ein Trümmerfeld aus Schmerz und Trauer zu verwandeln, daraus ziehen schwarze Hexen ihre Kraft. Dass sie dich vergessen hat, war das einzig Gute an allem. So wissen auch ihre neuen Verbündeten nichts von dir und wir konnten dich weiter schützen, ohne dass es jemand merkte.«
»Sie vergaß mich? Wie? Warum?«
»Die Macht, die sie veränderte nahm ihr den Großteil ihrer emphatischen Gedanken und Fähigkeiten, unter anderem eben auch dich. Wir wissen nicht wirklich was passiert ist. Sie hat fast jeden in ihrem Umfeld getötet. Ich konnte überleben, weil ich zu diesem Zeitpunkt einen Auftrag außerhalb des Landes gehabt hatte. Der Gefährte eines Magiers konnte mich noch erreichen und warnen, aber für die meisten anderen war es zu spät. Zu viele haben in dieser Nacht ihr Leben gelassen, zu viele gute Menschen und ich glaube einfach nicht, dass deine Mutter dies freiwillig tat. Irgendetwas hat sie dazu getrieben, sie ist kein Mensch, der absichtlich jemandem Schmerzen zufügen würde. Aber sie tat es und ich wollte herausfinden warum und vor allem wie man sie aufhalten konnte, doch dann zog ich mich hierher zurück und vergrub mich im Vergessen. Auch deshalb haben wir uns deiner angenommen und auf dich aufgepasst. Zoe war ständig in deiner Nähe, aber da sie selbst keinerlei magische Kräfte hatte, konnte sie dir nicht wirklich helfen. Alle anderen fühlten sich außerstande dich rechtzeitig zu erreichen um die Katastrophe zu verhindern. Jeder, der in dem Dorf war, und jeder der dort in der letzten Zeit hindurch gezogen ist, wird deine magische Signatur erkannt haben. Es wird kein Geheimnis mehr sein, dass Wynn eine Tochter hat und ich denke, genau deshalb waren die Dunkelalben auch hier und haben versucht, dich zu beeinflussen. Deine Mutter oder zumindest die Menschen mit denen sie sich abgibt, werden deine Kräfte wollen und sie werden alles tun, um sie zu bekommen. Ob du nun lebst oder dabei stirbst.« Killian schwieg. Mircea sah ihn mit versteinerter Miene an, ihr Herz klopfte wild in ihrer Brust und unbewusst biss sie auf ihrer Unterlippe herum, bis Blut kam.
»Und was willst du von mir?«, fragte sie ihn schließlich.
»Ich?«
»Ja, möchtest du meine Kraft? Oder warum hast du mir geholfen?«
»Ach Mircea. Ich möchte deine Kraft nicht, sonst hätte ich sie dir in der ersten Nacht im Wald entzogen, du hättest mir nichts entgegen setzten können. Nein, ich habe deiner Mutter geschworen, dass ich sie und somit auch dich beschütze, notfalls mit meinem Leben und dies gedenke ich zu tun. Egal, ob Wynn noch die alte ist oder nicht. Mein Versprechen gilt weiterhin.«
»Warum? Warum tust du das für sie?«
»Liebe ist etwas komisches, oder? Deswegen Mircea, ich liebte deine Mutter, ich habe sie immer schon geliebt und ich gab ihr mein Versprechen aus Liebe und keine Macht der Welt wird mich daran hindern, dieses Versprechen einzulösen bis ich sterbe.«
Mircea schwieg daraufhin, es waren für einen Abend zu viele Informationen, als plötzlich die Tür aufsprang und eine ältere Frau eintrat, mit einem langen silbergrauen geflochtenen Zopf.
»Hallo Killian«, ihre Stimme war kalt wie Eis und als ihr Blick Mirceas Augen trafen, erstarrte sie bis ins tiefste Innere.

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