Teil 1 / Schattennacht


Jauchzend rannte die junge Mircea durch die blumengesäumte Straßen. Dicht hinter ihr rannte eine kleine schwarze Fellkugel, die mitten im Lauf zum Sprung ansetzte, sanft auf Mirceas Schulter landete und sich dort festhielt. Amüsierte Blicke begleiteten das junge Mädchen und ihre Katze wie sie auf dem Weg nach Hause waren. Alle kannten und liebten sie. Dieses offenherzige Mädchen mit den fuchsroten Haaren und den moosgrünen Augen, die niemals ohne ihre kleine schwarze Katze Cress unterwegs war. Mirceas Großmutter gehörte der Blumenladen des Dorfes, welcher auch Kräuter für verschiedene Unpässlichkeiten verkaufte und somit jedem Bewohner schon mindestens einmal geholfen hatte. Neben den Blumen und Kräutern kannte sich Mirceas Großmutter aber auch mit Krankheiten und Geburten aus und war nicht nur die Inhaberin des kleinen Ladens sondern auch die Hebamme und Weise Frau des Dorfes. Auch Mircea verbrachte ihre Tage im Laden und inmitten von wunderschönen duftenden Blumen und vielleicht war dies auch der Grund, warum sie selbst wie eine Wildrose duftete. Doch diese unbeschwerten Tage sollten nicht ewig anhalten, denn sonst würde unsere Geschichte bereits hier enden.

Schon als sie sich dem kleinen Laden näherte, bemerkte sie, dass etwas nicht so war wie es sein sollte. Menschen tummelten sich aufgeregt vor dem Laden und tuschelten miteinander. Auch im Laden selbst schienen außergewöhnlich viele Leute zu sein und als sie näher kam, bemerkte sie unter den ersten Blicken, die sie trafen, mitleidige Mienen. Kurz fragte sie sich, ob diese ihr galten, doch sie hätte nicht sagen können, warum.  Ihre Schritte wurden zögerlicher je näher sie dem Laden kam.  Doch schließlich konnte sie es nicht mehr hinaus zögern und trat in den kühlen Eingangsbereich des Ladens, wo ihre Nachbarin Zoe bereits wartete.
»Mircea, meine Kleine, endlich bist du da. Ich wusste nicht wo du dich rumtreibst, deiner Großmutter geht es sehr schlecht. Schnell, komm mit.« Sie streckte Mircea die Hand entgegen, zog sie mit sich und lief in schnellem Schritt dem kleinen Haus in der Nähe des Ladens entgegen, in dem sie mit ihrer Großmutter wohnte, seitdem ihre Mutter sie verlassen hatte.
Mircea konnte sich nicht wirklich an sie erinnern, sie war noch sehr klein gewesen, als ihre Mutter beschlossen hatte mitten in der Nacht zu verschwinden und sie bei ihrer Großmutter zurückzulassen. Bis heute wusste niemand den Grund dafür, oder ihre Oma wollte es nicht verraten, jedenfalls kannte Mircea weder ihre Mutter noch ihren Vater, von dem niemand wusste, wer er überhaupt war. Sie hatte also nur ihre Großmutter als Familie und als Zoe sie mit sich zog, krampfte sich schmerzhaft ihr Herz zusammen. Ihre Vorahnung war nicht gut und all der Aufruhr sorgte nicht dafür, dass sie sich besser fühlte.
Endlich kamen sie an und traten in den Eingang des Hauses, doch diesmal beruhigte Mircea der kühle Dielenflur nicht. Schnell tasteten sich ihre Füße zum Schlafzimmer ihrer Großmutter vor und sie fand diese im Bett liegend, während sich der Arzt des Dorfes über sie beugte.
»Mircea«, hauchte die Alte schwach und dem Mädchen lief es eiskalt den Rücken herunter.
»Großmutter, oh mein Gott, was ist mit dir?« Voller Erschrecken nahm sie das leichenblasse Gesicht ihrer Großmutter wahr, die dicken Schweißperlen auf der Stirn und der Oberlippe, sowie die unnatürliche Trübung ihrer sonst so strahlenden blauen Augen.
»Mein Kind«, sie versuchte ihre Hand zu heben, doch fast sofort fiel sie matt auf das Bett zurück. Mircea kam vorsichtig näher, nahm die eiskalte Hand in ihre Hände und hielt sie fest. Nur schwer konnte sie das Zittern unterdrücken, welches sich ihrer bemächtigt hatte.
»Doktor, bitte lass uns alleine.«
»Aber«, versuchte er zu widersprechen.
»Nein, mir kann nicht mehr geholfen werden. Ich möchte meine letzten Momente mit meiner Enkelin verbringen und mit niemanden sonst. Du hast alles getan, was du tun konntest. Ich danke dir und nun geh.« Resigniert packte er seine Sachen zusammen und verließ mit einem letzten Blick auf seine Patientin und dem jungen Mädchen den Raum.
»Was sagst du da? Du darfst nicht sterben!«
»Mircea, ich möchte nicht gehen, ich möchte dich nicht alleine lassen, aber ich kann nicht mehr dagegen ankämpfen. Mir war klar, dass dieser Tag kommen würde, nur nicht so bald hatte ich gehofft, aber es passiert, leider.«
»Was? Was meinst du damit? Was passiert?«
»Ach mein Schatz, du wirst es herausfinden. Mein Schatz, ich liebe dich! Ich liebe dich so sehr!« Mit einem letzten Aufflackern ihrer Lebensgeister lächelte sie und drückte sanft Mirceas Hand, dann schloss sie ihre Augen, für immer.
»Nein, nein, nein, Großmutter, bitte!« Weinend schrie Mircea den leblosen Körper an, den sie vor lauter Tränen nicht sehen konnte, bis der Arzt und Zoe ins Zimmer geeilt kamen und sie von dem toten Körper wegzogen. Zoe wiegte sie in ihren Armen während sie nichts anderen tun konnte als hemmungslos zu weinen. Irgendwann versiegten ihre Sturzbäche an Tränen und sie schluchzte nur noch trocken bis sie vor Erschöpfung einfach einschlief. Zoe strich ihr sanft über den Rücken, ihr tat das Mädchen unglaublich leid. Sie kannte Mircea schon seitdem sie mit knapp zwei Jahren ins Dorf einzog und hatte sie seitdem aufwachsen sehen und ins Herz geschlossen. Sie selbst hatte keine Kinder und das offenherzige, immer gut gelaunte Mädchen war auch der Sonnenschein in ihrem Leben und oft genug hatte sie Lemon, Mirceas Großmutter, geholfen, wenn diese nicht selbst auf das quirlige Mädchen aufpassen konnte. Und jetzt brach es ihr das Herz ihren Schützling so verzweifelt und verletzt zu sehen. Ihre Augen schimmerten feucht als sich eine starke Hand auf ihre Schulter legte und ihr Mann Lex das Kind aus ihren Armen nahm um sie in ihr Bett zu tragen, damit sie sich dort ausschlafen konnte.

Am nächsten Morgen wurde Mircea sanft von sich zaghaft herantastenden Sonnenstrahlen geweckt, die sich durch das breite Fenster streckten und sie an der Nase kitzelten. Niesend erwachte sie und wusste im ersten Moment weder wo sie war noch was am vorigen Tag vorgefallen war. Doch als sie sich streckte kamen die Erinnerungen wie mit einem riesigen peitschenden Knall zurück und ihr Körper verkrampfte sich voller Schmerzen. Heiß brennende Tränen fluteten ihre Augen und rannen in Sturzbächen ihr blasses Gesicht hinab. Irgendwann jedoch konnte sie nicht mehr weinen und mit schwerem, schwarzem Herzen stand sie auf. Ihre nackten Füße berührten den rauen Holzfußboden und wankend blieb sie stehen. Jeder Schritt fiel ihr schwer und sie brauchte Ewigkeiten, bis sie die Tür aus ihrem Zimmer erreicht hatte und diese aufstieß. Der Flur war dämmerig und nichts bewegte sich. Wie sollte es auch? Außer ihr und ihrer Großmutter gab es niemanden, der in diesem Haus wohnte und Cress hatte sie bisher nicht gesehen, wer weiß, wo sich die schwarze Katze schon wieder herumtrieb. Kurz schoss Wut durch ihr Herz, bis sie erschrocken den Kopf schüttelte. Niemand und schon gar nicht ihre beste Freundin war daran schuld, dass sie jetzt gerade alleine war.
»Mircea? Bist du wach?«, hallte plötzlich eine helle Stimme durch die Stille und zerriss ihre Gedankenblase. Sie wollte antworten, doch aus ihrem Mund kam nur heiseres Krächzen und überrascht schloss sie den Mund wieder. Am Ende der Treppe kam im gleichen Moment ein blonder Haarschopf in Sicht und Zoe streckte den Kopf über das Geländer.
»Ah du bist wach.« Ein sanftes Lächeln erhellte ihre meerblauen Augen und gleichzeitig spiegelte sich Besorgnis in ihrem Blick wieder. »Ich habe dir etwas zu essen mitgebracht, vielleicht magst du etwas davon.« Mircea nickte nur schwach und folgte Zoe durch das viel zu stille Haus in die große helle Küche. Schmerzhaft bohrte sich der Verlust in ihr Herz als sie den geliebten Raum ihrer Großmutter sah. Überall schrie es nach Lemon. Überall standen farbenfrohe Blumen, frische und getrocknete Kräuter sowie  Skizzen. Ihre Großmutter hatte alles auf Zeichnungen festgehalten. Mircea, Cress, Pflanzen, Ideen … alles kreischte nach ihr. Ohne es zu wollen, schossen wieder Tränen in ihre Augen und obwohl sie sich sicher war, dass sie kaum noch Reserven zum Weinen übrig hatte, liefen die Bäche bereits wieder über ihre Wangen.
»Ach Mircea.« Zoe kam zu ihr, umschlang sie mit ihren Armen und drückte sie fest an sich. Verzweiflung brannte in ihren Augen, verbarg diese aber sofort vor Mircea um sie nicht zu beunruhigen, doch sie wusste, dass das Mädchen zu jung war und dass sie niemanden sonst gehabt hatte als ihre Großmutter, die nun nicht mehr da war um für sie zu sorgen.
»Ich vermisse sie so«, schluchzte Mircea plötzlich an ihrem Herzen und erzitterte.
»Ich weiß«, murmelte Zoe ihr ins Haar. »Ich weiß.«

Der Tag ging unter in einer Welle aus Schmerz und Trauer. Zoe wich nicht von Mirceas Seite und irgendwann kam ihr Mann Lex von der Arbeit und besah sich alles. Er wusste so gut wie seine Frau, dass sich niemand um das Mädchen und seine Angelegenheiten kümmern würde und ihm wäre es lieber gewesen, auch sie würden sich davon fernhalten, aber gegen Zoe kam er nicht an. Obwohl Mirceas Großmutter als Weise Frau des Dorfes geschätzt und verehrt wurde, wurde sie gleichzeitig von allen gemieden. Sie war eine Hexe, niemand konnte ohne Hexenkräfte solche Wunder wirken wie Lemon. Keine Pflanze der Welt wäre zu so etwas im Stande. Also wurde sie gleichzeitig gebraucht, verehrt und gehasst. Und auf ihre Enkelin wurde das nun einfach übertragen. Bis zu dem Tod ihrer Großmutter war Mircea einfach ein süßes kleines Mädchen gewesen, aber nun galt dies nicht mehr, nun war sie eine Hexe. Zoe aber war schon immer viel zu offenherzig zu dem jungen Mädchen gewesen und hatte alle ignoriert die sie warnten. Niemand ließ sich mit Hexen und ihren Angehörigen ein, wenngleich bereits die Tatsache gereicht hätte, dass Mircea keine Mutter hatte und niemand wusste, wer ihre Eltern waren.
Das Geschäft lief jedoch gut und alle erwarteten nun, dass Mircea, trotz ihrer viel zu jungen Jahre den Laden weiterbetreiben würde, denn es gehörte zu den Aufgaben der Hexen. Andererseits blieb ihr sonst nur die Verbannung, niemand würde sie hier akzeptieren, wenn sie nicht das tun würde, wofür man einzig und allein eine Hexe in ihrer Dorfmitte duldete.
»Mircea«, Lex´ Stimme klang hart und barsch, aber er konnte es nicht unterdrücken, obwohl Zoe ihm einen bösen Blick zu warf. »Die Dorfältesten werden morgen kommen und deine Großmutter mitnehmen, sie wird bestattet wie es einer Hexe gebührt. Und drei Tage danach, du weißt, was du dann zu tun hast.« Es war keine Frage, aber Mircea antwortete trotzdem tonlos.
»Ja, ich weiß!« Ihre Großmutter hatte ihr früh erklärt, was es mit ihrem Amt auf sich hatte und was sie tun musste, wenn es sie nicht mehr geben würde. Damals hatte Mircea gedacht, dies würde erst in Jahrhunderten geschehen, niemals hatte sie darüber nachgedacht, dass ihre Großmutter wirklich irgendwann sterben würde.
»Gut«, riss Lex sie wieder aus ihren Gedanken. »Du weißt, was dich sonst erwartet und auch wenn du noch sehr jung bist, ist es der einzige Weg, den du gehen kannst.« Mircea nickte niedergeschlagen und war froh, als Lex endlich das Haus verließ und die schwere Eichentür hinter ihm ins Schloss fiel. Sie hatte ihn noch nie besonders leiden können und seine abweisende Art hatte ihr früher sogar Angst gemacht.
»Es tut mir leid, Mircea.« Zoe sah sie traurig an. »Ich weiß was die Menschen über deine Familie denken und es ist nicht fair, aber ich kann sie nicht umstimmen. Niemand will von diesem verdammten Aberglauben abweichen, dass eine kluge Frau trotzdem einfach nur eine Frau ist und keine böse Hexe.« Sanft strich sie Mircea durch die langen verfilzten Haare. »Wenn du Hilfe brauchst oder irgendetwas ist, dann sag es mir, ja? Ich werde dir helfen! Egal, was die anderen denken, ich denke nicht so! Du bist so ein wunderbares Mädchen, du wirst alles schaffen. Und jetzt schlaf gut!« Mit einem sanften Lächeln drückte sie Mircea einen Kuss auf den Haaransatz und verließ das Haus, welches jetzt in Stille und Dunkelheit versank. Mircea mitten darin.

Die nächsten Tage und Wochen waren nicht leicht für Mircea, aber irgendwie überstand sie die Zeit. Menschen gingen ein und aus und tuschelten dabei vor sich hin. Sie hatten Angst vor der alten Hexe, und trotzdem trieb sie ihre Klatschsucht in das Haus der Weisen Frau. Essen wurde gebracht und alle bemitleideten die junge Mircea, vergessend, dass sie mit dem Tod ihrer Großmutter die nächste Weise Frau werden würde. Doch noch sprach niemand darüber. Sie alle nahmen es hin, dass der Kräuterladen drei Tage nach der Bestattung von Lemon wieder geöffnet wurde und eine junge Mircea den Laden führte. Sie wusste genug um ihre Großmutter würdig vertreten zu können, doch die Leichtigkeit fehlte. Jeder Tag fraß sich in ihr Herz und hinterließ nur Schmerzen. Alles erinnerte sie an ihre Großmutter und sie wusste nicht wie sie die Tage an sich überlebte. Alles ging in Arbeit unter. Laden öffnen, verkaufen, Laden schließen, Kräuter sammeln, Kräuter trocknen, Medizin vorbereiten. So verging Tag für Tag. Nacht für Nacht. Und plötzlich war der erste Monat rum. Dann der zweite. Und schon wurde es Winter. Ein knappes halbes Jahr war vergangen, seitdem Mircea zur Waise geworden war und den Laden ihrer Familie fortführte. Und sie war immer noch nicht darüber hinweg gekommen. Ihr Herz schmerzte und ein Lächeln sah man diese Tage nicht mehr, zumindest keines, welches auch ihre Augen erreichen konnte. Sie war in Traurigkeit versunken und von dem fröhlichen Mädchen war nichts mehr übrig geblieben. Freunde hatte sie keine, außer ihrer Katze, die nicht mehr von ihrer Seite wich. Ab und zu kam Zoe herüber und brachte ihr etwas zu essen oder andere alltägliche Dinge vorbei, aber die Besuche wurden immer weniger, auch weil ihr Mann sie nicht gut hieß. Also schlich sich Zoe ins Haus, wenn er nicht da war und hinterließ kleine Mahlzeiten, denn auch das essen war nicht mehr Mirceas Ding. Sie war abgemagert und dürr und aß nur das allernötigste. Alles hatte seinen Reiz, seine Farben verloren. Der Tag war grau. Die Nacht war grau. Mirceas Leben war grau.

An einem der tiefsten und kältesten Wintertage hockte Mircea in ihrem dunklen Zimmer und starrte aus dem Fenster. Draußen versank die Welt in den herabschneienden weißen Schneemassen und ließ alles verstummen. Die Welt wurde nicht nur weiß sondern auch still. Etwas was Mircea früher geliebt hatte. Ihre Großmutter hatte mit ihr vor dem Kamin gesessen, heiße Schokolade getrunken und ihr Geschichten erzählt. Geschichten voller Träume, Hoffnung, aber auch von Monstern und bösen Menschen; aber immer gab es ein Happy End. Wie sie diese Abende geliebt hatte. Der Wind peitschte um das Haus, rüttelte an den hölzernen Fensterläden und machte alle Worte noch gespenstischer. Die beruhigende Wärme ihrer Großmutter hatte sie jedoch getröstet, wenn es allzu schlimm wurde und sie hatte sich immer sicher und behütet gefühlt. Voller Wehmut seufzte sie und stand auf. Langsam durchquerte sie ihr Zimmer und den angrenzenden Flur und fand sich schnell vor dem Raum ihrer Großmutter wieder. Sanft legte sie ihre Hand an das raue Holz und hielt inne. Seit dem Tod war sie nicht mehr hier drinnen gewesen, sie hatte es einfach nicht über ihr zerbrochenes Herz gebracht. Und nun stand sie hier. Ängstlich pochte ihr Puls und Schweiß rann ihr den Rücken hinab. Ohne es zu bemerken, biss sie sich heftig auf die Lippe, bis Blut daraus hervor quoll und sie vor Schmerz plötzlich aufstöhnte. Im gleichen Augenblick stieß sie die nur angelehnte Tür auf und alles traf sie mit voller Wucht. Der Raum sah genauso aus wie sie ihn zuletzt gesehen hatte, aber worauf sie nicht vorbereitet gewesen war, war der Geruch. Es duftete immer noch wie früher, der leicht zitronige Kräuterduft, den ihre Großmutter immer umgeben hatte. Es brach ihr Herz ein weiteres Mal. Aufschluchzend krümmte sie sich zusammen und ging in die Knie. Obwohl sie sich sicher gewesen war, nie wieder genug Tränen zum Weinen haben zu können, liefen ihr heiße Rinnsale über das Gesicht. Am Ende wusste sie nicht mehr wie lange sie schon auf dem Boden gehockt hatte bis ihre Schluchzer verebbten und sie wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. Es könnten Minuten oder Stunden gewesen sein, vielleicht sogar Tage. Ihre Trauer war einfach zu groß um sie begreifen zu können, doch als sie jetzt die Augen öffnete, spürte sie, dass etwas anders war. Sie konnte dem Anblick standhalten und ihr Herz flatterte sogar ein wenig in Erwartung. Vorsichtig stand sie auf und durchmaß den Raum mit einem Blick. Alles sah aus wie immer, aber etwas zog sie zum Kleiderschrank, der leicht offen stand. Als sie die Türen öffnete, bildete sich sofort wieder ein Kloß in ihrem Hals, als sie die ganzen altbekannten Sachen sah, die ihre Großmutter tagtäglich getragen hatte. Ohne nachzudenken nagte sie auf ihrer Unterlippe herum und schob die Sachen zur Seite. Etwas im hinteren Teil hatte ihre Aufmerksamkeit erregt und sie wühlte sich durch die Kleider bis sie eine schwarze verstaubte Schachtel ausmachen konnte, die sie irgendwie magisch anzog. Langsam zog sie diese hervor und war überrascht wie schwer sie war. Mit deutlicher Mühe kämpfte sie darum, die Schachtel zwischen den Kleidern hervor zu bekommen und als ein besonders hartnäckiger Stoffstreifen plötzlich riss, knallte alles mit einem lauten Poltern auf den harten Holzboden. Überrascht keuchte sie auf und lauschte dem Hall nach, doch nachdem alles ohne weitere Vorkommnisse vorüber gegangen war, atmete sie erleichtert auf. Auch wenn sie nicht wusste warum sie so erleichtert war richtete sich ihr Augenmerk wieder der seltsamen Schachtel zu. Diese war nicht schwarz wie sie im ersten Moment angenommen hatte, sondern dunkelgrau und mit einem Netz von schwarzen Spinnenweben überzogen. Samtweich war die Oberfläche und strahlte eine fast greifbare Wärme aus, die sie aus irgendeinem Grund schmerzhaft an ihre Großmutter erinnerte. Sanft strich sie mit den Fingern über das Muster und verlor sich in Gedanken. Stunden saß sie da, die Finger unablässig auf dem Samt, bis sie sich überwinden konnte die Schachtel zu öffnen. Vorsichtig hob sie den Deckel hoch und fand seidiges dunkelrotes Papier vor, welches die ganze Öffnung einzunehmen schien. Nachdem sie den Deckel zur Seite gelegt hatte, schlug sie zögerlich das Papier auseinander und fand ein uralt aussehendes Buch, welches in dunkles Leder gebunden war. Überrascht zog sie die Stirn kraus und berührte das Zeichen, das in den Deckel gebrannt war. Es stellte eine schwarze Katze dar, die einen hohen Buckel machte und sie anzugrinsen schien. Das Symbol nachzeichnend, verlor sie sich in Gedanken.
Mircea!
»Was?«, überrascht schreckte sie hoch und sah sich hektisch um, aber außer ihr war niemand im Zimmer. Plötzlich erhob sich Wind und fuhr ihr durch die Haare. Mit einem schnellen Blick bestätigte sich ihre Erinnerung, dass das Fenster geschlossen war und erschrocken wollte sie aufspringen, als plötzlich ein schwarzer Blitz durch die Tür gesaust kam und Cress in einem einzigen Satz auf ihren Schoß sprang.
Mircea, hab keine Angst.
»Großmutter?«, Mirceas Stimme bebte, aber sie konnte sich nicht täuschen, es klang wie die Stimme ihrer Großmutter.
Ja mein Kind, aber ich habe nicht viel Zeit. Hör mir zu. Dieses Buch, welches vor dir liegt, ist unser Vermächtnis. Ich hatte gehofft es dir in ein paar Jahren erklären zu können, aber nun kann ich nicht länger warten. Dies ist ein Hexenbuch. Das Hexenbuch unserer Familie.
»Hexen?«, Mirceas Stimme fiel ein paar Oktaven zu schrill aus.
Nicht jetzt. Ich hab nicht viel Zeit, hör mir einfach zu. Wir sind eine Familie aus Hexen, aus wirklichen Hexen, nicht wie die Dorfbewohner uns bezeichnen in ihrer Angst. Wenn die wüssten. Jedenfalls hätten deine Kräfte erst mit deinem achtzehnten Lebensjahr aktiviert werden sollen, aber nun bin ich tot und du bist im Besitz des Buches, du wirst deine Kräfte erhalten, wenn du das Buch aufschlägst. Es tut mir so leid, Mircea. Ich habe mir eine lange Kindheit für dich gewünscht und keine Lasten. Ich würde dir gerne alles erklären, aber ich kann nicht länger hierbleiben. Alles andere wirst du selbst herausfinden müssen. Es tut mir leid, es tut mir so leid, es tut mir …
Die Stimme brach ab und ließ Mircea alleine zurück. Zitternd hatten sich ihre Finger in Cress´ Fell gekrallt und Tränen liefen ihr das Gesicht herab. Was zum Teufel wollte ihre Großmutter damit sagen? Hexen? Lächerlich! Es gab keine Hexen. Die Dorfbewohner dachten sich so etwas nur aus um die unendlichen Fähigkeiten der Pflanzen, die sie nicht verstanden, zu bannen und ihnen einen Namen zu geben. Aber Hexen? Wahrhaftige Hexen? Niemals. Sie musste verrückt geworden sein. Verrückt vor Einsamkeit und Trauer. Mircea lachte lautlos und bitter auf. Mit einem Schubs katapultierte sie die Schachtel durch das Zimmer bis unters Bett und ließ sich auf den Rücken fallen. So lag sie die Nacht da und weinte. Weinte, bis sie nicht mehr weinen konnte und darüber hinaus. Bis sie in einen tiefen, traumlosen Schlaf fiel.

Der nächste Morgen kam viel zu früh. Noch immer lag draußen so viel Schnee, dass niemand seine vier Wände verließ, was bedeutete, dass Mircea ebenfalls zu Hause bleiben konnte. Sollte jemand dringend Hilfe benötigen, würde derjenige hierher kommen und Hilfe bekommen, soweit es in Mirceas Macht stand. Doch was sollte sie nun den ganzen Tag über machen? Wiederholt glitten ihre Gedanken zu der Schachtel unter dem Bett, in der das geheimnisvolle Buch lag. Es juckte ihr in den Fingern, aber gleichzeitig schrak sie davor zurück. Was, wenn es stimmte? Dass es in der Welt mehr gab als sie sich vorstellen konnte? Aber wie konnte es so etwas geben? Bitter lachte sie auf. Sie war eindeutig verrückt geworden. Hexen, dass sie nicht lachte. Aber was hielt sie dann davon ab? Wenn es sowieso nur Hirngespinste waren, was sollte das Buch dann anrichten können? Mit einem Knurren kam sie auf die Füße und zog die Schachtel unter dem Bett hervor. Das Buch lag noch immer zugeklappt da, das Katzensymbol leuchtete mattschwarz auf dem dunklen Ledereinband.  Irgendetwas zog sie unaufhaltsam zu diesem Buch und letztendlich klappte sie den Einband auf und starrte auf die erste Seite.
Hexenbuch der grauen Hexen von Waldgrün
Bitte was? Mircea legte den Kopf leicht schief und starrte auf die Worte. Graue Hexen? Waldgrün? Nichts davon sagte ihr etwas und was bitte waren graue Hexen? Sie kannte den Begriff weiße und schwarze Hexen, aber graue? Nein, ihre Großmutter hatte nie etwas in dieser Richtung verlauten lassen, da war sie sich sehr sicher. In keiner ihrer Geschichten kamen jemals graue Hexen vor. Oder …
Da klopfte es plötzlich an der Tür. Mircea zuckte erschrocken zusammen und schlug das Buch wieder zu. Kopfschüttelnd über sich selbst ging sie durch den dämmrigen Flur und öffnete vorsichtig die schwere Holztür. Doch draußen stand niemand. Zudem war es still, sehr still. Schneeflocken rieselten vom dunklen Himmel und hüllten alles in eine weiche Decke und dämpfen die Welt um sie herum. Verträumt beobachtete Mircea eine Weile das rege Schneetreiben und trat irgendwann zurück ins Haus. Vielleicht hatte sie sich das Klopfen nur eingebildet, es war ihr zwar ein wenig unheimlich, aber sie zwang sich, nicht weiter darüber nachzudenken. Als sie wieder zurück ins Zimmer ihrer Großmutter trat, saß Cress neben dem angeblichen Hexenbuch und ihre grünen Augen leuchteten unheimlich.
»Was zum…?«, doch in dem Moment verklang das Strahlen und Cress sah sie nur maunzend an.
»Ich werde verrückt, meine Güte«, tadelte sie sich selbst, ging zu dem Buch und ließ sich neben Cress auf die Knie fallen. Gedankenverloren strich sie durch das weiche Fell der Katze und ließ sich von ihrem sanften Schnurren beruhigen. Dann streckte sie ihre Hand aus, legte sie auf den rauen Deckel des Buches und schlug nach kurzem Zögern die erste Seite auf.
Hexenbuch der grauen Hexen von Waldgrün.
Was sollte das bedeuten? Beim Grübeln kaute sie gedankenverloren auf ihrer Unterlippe herum und blätterte nach einem kurzen Moment weiter und da … stand nichts. Fassungslos starrte sie auf die Seite. Sie war leer. Nur graues verblichenes Papier. Stirnrunzelnd durchsuchte sie das ganze Buch, bis auf den ersten Satz war nicht ein einziges Zeichen oder Bild in dem Buch zu finden. Es war leer. Einfach nur leer.
»Was zum…«, fluchte Mircea leise und schüttelte den Kopf. Was hatte sie auch erwartet? Es war ein Buch. Uralt, ja. Aber was sollte das schon bedeuten? Es war jedenfalls ein leeres Buch und sie schlug es frustriert wieder zu, dann warf sie es auf das staubige Bett, so dass eine graue Wolke hochstob und ihr in der Nase kitzelte.
»Verflucht!« Ohne weiteren Gedanken verließ sie den Raum und ließ sich in ihrem Zimmer ins Bett fallen und weinte. Sie weinte so lange, bis sie in einen tiefen Schlaf hinüber glitt.

Als sie aufwachte, konnte sie sich kaum an ihren Traum erinnern. Irgendetwas mit Nebel und seltsamen leuchtenden Lichtern. So krampfhaft sie auch versuchte sich zu erinnern, es ging einfach nicht. Cress sprang ihr auf den Schoß und gedankenverloren kraulte sie ihr Fell, als sich zwischen ihrer Handfläche und dem schwarzen Pelz ein seltsamer bläulicher Schimmer ausbreitete.
»Was zum …?«, erschrocken zog sie ihre Hand zurück und blickte ungläubig darauf. Noch immer schimmerte ihre Handfläche leicht blau und ein sanftes Kribbeln setzte ein.
»Gut, jetzt verliere ich wirklich den Verstand«: Mircea schüttelte den Kopf und zuckte erschrocken zusammen als Cress ihren kleinen Kopf an ihrem Oberschenkel rieb.
»Was, denkst du nicht, dass ich verrückt werde?« Frustriert seufzte sie und betrachtete wieder ihre Hand. Langsam ließ das unheimliche Licht nach und verschwand. Eine Weile starrte sie noch vor sich her, doch das Phänomen kehrte nicht wieder, zumindest nicht für den Moment. Im Laufe des Tages, entdeckte sie immer wieder wie ihre Hand leicht bläulich schimmerte und erschrocken versteckte sie diese jedes Mal schnell hinter den Rücken. Keine Ahnung was passierte, wenn der Rest des Dorfes Wind davon bekam. So ging auch dieser Tag vorbei, und der nächste. Das blaue Licht jedoch wurde immer stärker, immer schwerer zu verstecken und dann kam diese folgenschwere Nacht.

Sie war früh schlafen gegangen und wurde davon wach, dass Cress neben ihr panisch miaute und ihre Krallen an ihrer Wange wetzte. Benommen wurde sie nur langsam wach und erst als sich schwer der Geruch von Rauch auf ihre Nase legte, fuhr sie plötzlich hellwach aus dem Bett. Es brannte. Ihr Zimmer stand lichterloh in Flammen. Rauch und Qualm nahmen ihr die Sicht und ließen sie qualvoll husten. Hastig streifte sie sich ein paar Klamotten vom Vortag über, griff sie die panische Katze und rannte aus dem Haus. Tränen rannen ihr das Gesicht herab und heiß brannte die Luft auf ihrer Haut. Hier unten stand ebenfalls alles in Flammen, nicht ein Fleckchen gab es mehr, wo die Flammen nicht an der Einrichtung leckten. Ohne einen weiteren Blick zu riskieren, stolperte sie aus dem Haus und rannte die verlassene Straße hinunter. Noch hatte niemand im Dorf das Feuer bemerkt, alles schlief tief und selig. Panisch wollte sie nach Hilfe schreien, als sich eine Hand von hinten auf ihren Mund legte.
»Still«, zischte eine weibliche Stimme neben ihrem Ohr und eine Frau zog sie ins Gebüsch und schleifte sie Richtung Wald mit sich.
»Was?«, Mircea wollte sich befreien, aber die Hand, die sie hielt, war stark und eisern und ließ sie erst in den ersten Ausläufen des Waldes los.
»Mircea«, Zoes blaue Augen leuchteten unheimlich.
»Zoe«, überrascht und erleichtert atmete Mircea auf. »Warum hast du mich hierher gebracht, mein Haus, es brennt, ich brauche Hilfe, wir müssen es löschen.«
»Nein Mircea, das wird nicht möglich sein.«
»Aber warum denn nicht«, ungläubig starrte sie die blonde Frau an.
»Weil Hexenfeuer nicht so einfach gelöscht werden kann.«
»Hexenfeuer? Wovon redest du?«
»Ach Mircea«, seufzte Zoe. »Du bist eine Hexe, deine Kräfte sind viel zu früh erwacht, normalerweise bekommt man seine Kräfte erst mit achtzehn Jahren, aber in deinem Fall… Du bist die letzte deiner Reihe und niemand kann dich lehren, was das heißt.«
»Ich, eine Hexe? Du bist verrückt Zoe«, überheblich schnaubte Mircea und sah Zoe verständnislos an.
»Ja Mircea, und du weißt das auch selbst, auch wenn du es nicht wahrhaben willst. Aber darum geht es hier nicht. Du hast deine Kräfte nicht unter Kontrolle, diese Nacht hat das eindrucksvoll bewiesen und wenn du nicht gerichtet werden willst, dann musst du jetzt verschwinden! Niemand darf dich finden, niemand, der dich kennt! Verlasse dieses Dorf, durchquere den Wald und lauf immer weiter, bis du nicht mehr laufen kannst. Hier kann du nicht bleiben, du bist eine Gefahr und die Menschen kennen dich, sie werden nicht zögern, dich zu verurteilen, egal wie jung und unerfahren du bist!«
Mircea konnte nicht glauben, was sie da hört. Sie, eine Hexe? Und eine Gefahr für andere? Und wohin bitte sollte sie gehen? Was erwartete Zoe nur von ihr?
»Es tut mir leid Mircea. Ich hatte gehofft, dass die Dinge anders laufen würden, aber das sind sie nicht und nun kann ich dir nicht mehr helfen. Ich habe zu lange gezögert, aber jetzt ist es zu spät. Du musst gehen, es tut mir leid!«
Im Dorf hallten laute Schreie durch die Nacht und die Sirene wurde geläutet. Menschen rannten durch die dunkle Nacht zum hell erleuchteten, brennenden Haus und versuchten den Flammen Herr zu werden.
»Ich werde ihnen weiß machen, dass du in den Flammen gestorben bist. Mehr kann ich nicht mehr für dich tun. Nutze diese Chance. Nutze sie und geh jetzt. Du darfst nie wieder hierher zurückkehren.« Mit diesen Worten drehte Zoe sich um und ließ sie alleine im Wald zurück.

Mircea wusste lange nicht was sie machen sollte. Sie stand im Schatten der Bäume und starrte zum Dorf hinunter. Ihr Haus brannte noch immer und nichts und niemand schien es löschen zu können. Der Wind fuhr ihr durch die Haare und zerrte sie an den Strähnen weiter zurück in den Wald, aber sie rührte sich nicht. So lange stand sie dort, bis die Menschen im Dorf aufgaben, das Haus brannte vollkommen nieder und die Konzentration verlagerte sich darauf, die umstehenden Häuser zu retten, was auch gelang. Dann erst kehrte Ruhe ein, erschöpft gingen die Leute nach Hause, während bereits wieder die Sonne aufging. Umso höher die Strahlen in den Himmel stiegen, umso tiefer drückte sich Mircea in den Schatten des Waldes. Sie wusste nicht warum, aber Zoes Worte hatten ihr Angst gemacht und sie traute sich nicht zurück ins Dorf. Und dies war gut so, wie sich schnell herausstellen sollte. Jedes Mal wenn sie einen Schritt Richtung Dorf machen wollte, krallte Cress die Krallen in ihre Schulter und miaute und fauchte panisch. Sie wusste nicht, was mit der Katze los war, aber sie vertraute den Instinkten ihrer Freundin. Irgendetwas war nicht richtig und auch wenn sie nicht wusste, was, nahm sie dieses Gefühl ernst. Und es trog sie nicht. Am Nachmittag durchsuchte man die Ruine ihres Hauses und verbrannte, was noch nicht zu Asche zerfallen war. Niemand machte sich die Mühe, etwas von ihren Habseligkeiten aufzuheben, alles wurde vernichtet.
»Wir sind die Hexe los, endlich!«, erklang die Stimme des Dorfoberhauptes durch den Wind zu ihr. »Viel zu lange schon haben sie sich bei uns breit gemacht und endlich können wir aufatmen. Niemals hätten wir ihnen gestattet dürfen, sich bei uns niederzulassen, aber nun sind wir dieses Problem los. Wir können allerdings nicht hundertprozentig sicher sein, ob diese kleine Göre wirklich hier unter der Asche liegt, also seid wachsam. Haltet die Augen offen, diese Missgeburt darf nicht zurückkehren, nicht lebend!« Lauter Beifall toste auf, einige Menschen jubelten.
»Was geht hier vor?« Mircea verstand nichts mehr. Warum hassten die Menschen sie so sehr? Und warum hatte sie das nie gemerkt? Tränen traten ihr in die Augen und plötzlich legte sich eine Hand auf ihre Schulter. Erschrocken fuhr sie zusammen und konnte ein Aufschrei gerade noch unterdrücken.
»Du bist immer noch hier«, stellte Zoe überflüssigerweise fest.
»Warum Zoe? Warum hassen sie mich so? Ich habe ihnen nie etwas getan!«
»Nein, das hast du nicht, aber du bist eine Hexe und sie hassen Hexen. Sie haben dich wegen der Macht deiner Großmutter geduldet, aber seit ihrem Tod wurde es immer schwerer, dich zu beschützen. Du bist zu jung! Du musst gehen! Ich kann es dir nicht erklären! Geh einfach und rette dein Leben! Sie werden auf dich warten, Wachen sind bereits eingeteilt. Sie werden dich nicht verschonen, wenn du zurückkommst. Bitte Mircea, geh und lebe dein Leben woanders. Um deines Willen!«
»Aber«, Mircea stand völlig fassungslos da.
»Nein, entweder du gehst jetzt sofort oder ich rufe die Wachen. Du hast die Wahl. Jetzt oder nie mehr!«
Mircea starrte sie entsetzt und verletzt an, aber schließlich siegte ihr Lebenswille und sie lief in den Wald. Einfach nur weg. Weg von hier. Weg von dem Dorf. Weg von dem Leben welches sie kannte. Sie hatte keine Ahnung warum sie weglief. Aber sie spürte, dass es der einzige Weg war. Je weiter sie sich entfernte umso mehr ließ der Druck auf ihrem Herzen nach. Es wurde freier, wilder. Aber am Ende blieb die Ungewissheit. Die Angst. Das Unverständnis und mehr Fragen als Antworten.
Cress sprang von ihrer Schulter und lief voran, wies ihr den Weg, wohin auch immer.

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