Kapitel 22 / Tränen des Mondes


Es war vor lange langer Zeit. Die Zeiten waren hart. Das Leben dunkel und kalt. Niemand vermochte Liebe und Licht zu fühlen. Nicht in dieser Stadt. Sie war dem Untergang geweiht. Und alles begann in dieser eisigen Winternacht, als die Menschen in ihren kalten und furchtsamen Herzen keinen Sinn mehr darin fanden, ein kleines Mädchen in ihr Haus zu lassen. Es zu wärmen und vor dem Hungertod zu retten. Doch niemand fand dazu den Mut und dies war ihr Untergang. Das Mädchen starb in den folgenden Nächten, doch sie starb nicht wirklich. Aus ihr wuchsen die ersten Vampyre der Welt, eine Form, die sich später in so vielfältigen Wesen einnistete, dass wir bald davon überschwemmt wurden. Von Feach, Bärenjägern, Nymphen und wie sie sich alle nannten. Doch als Mischka aus der Welt ein Zeitalter der Dunkelheit machte, änderte sich alles. Nicht nur die Wesen selbst bekämpften sich gegenseitig, sondern auch die Menschen wurden mutiger. Sie waren vielleicht nicht so stark wie die magiebegabten Wesen, aber sie waren viele, so unsagbar viele. Und diese Stadt wurde zu etwas besonderem. Jedes übernatürliches Wesen, welches sie nicht töteten, sondern hierher bringen konnten, wurde eingepfercht. Und nicht nur das. Man führte Experimente an ihnen durch. Grausame Experimente. Die Wesen brachen. Doch erst viel viel später starben sie wirklich. Vorher starben sie auf andere Art und Weise. Ihr Geist wurde zerstört. Ihre Körper zerstückelt. Und doch kamen sie immer wieder, denn vor allem Feach klammern sich an das Leben und konnte nicht einfach so gehen. Also ertranken sie in Dunkelheit und Schmerz. Hunderte Male. Tausende Male. Bis sie völlig zerbrochen sabbernd in einer Ecke ihres Loches saßen. Wenige starben wirklich. Und diese waren die Glücklichen unter ihnen. Denn die anderen vegetierten im Nichts dahin. Ihre Tage bestanden nur aus Qual und Pein. Nicht wenige wurden verrückt. Einige fingen an ihre eigenen Haare zu essen. Manche zuckten von einer Gestalt in die andere. Es war grausig. Und den Menschen gefiel das. Einige gingen in ihrer Arbeit geradezu auf. Die Stadt hat diese Gefühle aufgesaugt. Trauer. Schmerz. Hass. Wut. Einsamkeit. Erlöschende Hoffnung. Die Anstalt wurde irgendwann geschlossen. Die Wesen ihrer selbst überlassen. In Käfigen, die nicht größer als sie selbst waren. Es wurde alles angezündet, denn nicht einmal diese Wesen konnten die alles verzehrenden Flammen eines hungrigen Feuers überstehen. Niemand entkam. Es dauerte ewig. Viele wurden stundenlang von den heißen Feuerzungen zerfressen und von ihrem Metabolismus wieder zusammengesetzt, doch irgendwann gaben auch sie auf. Sie starben. So viel Hass und Schmerz in ihren Herzen. Die Stadt nahm sich dieser an. Alles brannte bis auf wenige Ruinenreste hinunter, doch der Hass und der Schmerz blieben. Die Steine selbst atmen diesen aus. Das ist auch das was du spürst. Niemals wird der ewige Stein vergessen, was hier vorgefallen ist und niemals wird diese Stadt wieder aufgebaut werden. Hierher flüchten sich nur Menschen, die nichts mehr zu verlieren haben. Die mit ihrem Leben abgeschlossen haben und die nie wieder die Sonne sehen wollen. Kurz gesagt, hierher kommen nur Wesen, die sterben wollen. Und wir helfen ihnen dabei. Wir nehmen sie auf. Wir geben ihnen das letzte Geleit. Wir sorgen dafür, dass ihre Körper diese Welt nie wieder lebend sehen werden. Und deswegen war es auch umso seltsamer ausgerechnet euch dort draußen zu sehen. Ihr Beide strahlt keine Verzweiflung aus, nein, das ist nicht ganz die Wahrheit, aber keine todesbringende, alles vernichtende Verzweiflung sondern etwas anderes. Ihr wollt nicht sterben. Deswegen seid ihr nicht hier her gekommen und doch wart ihr da. Und dann kam dieser Typ und wollte euch in der Luft zerfetzen. Ich hätte es zugelassen, ich mische mich nirgendwo ein, aber bei euch. Ich wollte wissen, was an euch so anders war, warum ihr ausgerechnet hier her gekommen seid, in dieses Loch. Und jetzt wo du vor mir sitzt, weiß ich wer du bist, warum ich mich deiner Aura nicht entziehen konnte. Warum mir mein steinernes Herz befahl dich zu retten und ich werde meiner Aufgabe gerecht, ich werde dich zum Endpunkt deiner Reise führen! 

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