Kapitel 17 / Tränen des Mondes
»Nein«,
Claire trat fauchend vor und stellte sich zwischen ihren Mann und die zwei
Feach. »Du wirst ihnen nichts antun.«
»Ach
und warum sollte ich nicht? Claire! Sie sind böse Wesen, sie haben uns die
Kinder geraubt. Angst und Schrecken
verbreitet! Damals, in den dunklen Zeiten. Ich werde es nie vergessen und
niemals darf auch nur einer von ihnen überleben! Ich habe dich verschont, weil
du zur Hälfte ein Mensch bist und keine Zeichen der Seuche an dir hast. Aber
diese beiden sind vollblütige Wölfe und damit ist ihr Todesurteil
unterschrieben!«
»Aber
Seth, sie sind doch nur Kinder.«
»Kinder,
die irgendwann erwachsen werden und sich paaren und schon sind wir wieder
bevölkert von räudigen Wölfen und stecken wieder mittendrin im dunklen
Zeitalter, welches wir mit der Ausrottung dieser Viecher hinter uns zu lassen
gedacht haben.« Seths Worte troffen nur so von Hass und Abscheu, dass es
Leandriis eiskalt den Rücken hinunter lief. Das dunkle Zeitalter. Sie wusste
nicht wovon er sprach. Claire dagegen erinnerte sich.
Das dunkle Zeitalter. Solange war es
bereits her und doch wieder nicht. Sie
war damals ein kleines Mädchen gewesen. Die Welt war von Wölfen bevölkert und
anderen ungleich schlimmeren Wesen. Doch was einige wenige getan hatten, hatte
das gesamte Volk der Feach in Verruf gebracht. Überall wurden sie gejagt und
getötet; egal ob Mann, Frau oder Kind. Und sie, sie war mittendrinn gewesen.
Denn ihre eigene Schwester war eine dieser wenigen. Sie war mit daran schuld,
dass die Feach nicht mehr in Frieden mit den Menschen leben konnten, sondern
auf der Abschussliste standen. Ihre Schwester Zooey und einige andere Feach
hatten sich Mischa angeschlossen, einem jungen Wolf, der mehr wollte. Der für
die Macht lebte und Macht über die schwachen Menschen gewinnen wollte. Die Macht
über die Welt. Für ihn waren die Menschen niedere Wesen, die nicht die
Fähigkeiten besaßen wie die Feach und so scharte er seine Anhänger um sich und
brachte Schrecken und Grauen über die Welt. Es war eine grausame Zeit. Mischa
war blind für alles, außer für die Macht und für Zooey. Er begehrte sie und sie
sonnte sich in seiner Aufmerksamkeit. Ließ sich mit in die Abgründe der Macht
reißen. Die beiden herrschten über die Welt, brachten die Feach in Verruf und
ließen das dunkle Zeitalter lange Jahre bestehen. Dann … dann erwachte Zooey
aus ihrer Trance. Es war der Tag, an dem Mischa ihre geliebte kleine Schwester
umbringen wollte. Claire. Zooey erstarrte. Sie war so wunderhübsch. Das kleine,
zierliche Mädchen, nur zur Hälfte eine Feach, aber Zooey hatte sie schon immer
abgöttisch verehrt und ihr war es egal gewesen. Dabei hatte sie an der Seite
des dunklen Feach-Herrschers genau solche Menschen, Wesen, verurteilt, gejagt,
getötet. Und nun stand sie da, auf dem vom Fackellicht erhellten Opferplatz,
und sah ihre eigene Schwester an, ihr Fleisch und Blut. Ohne es zu wollen
zerbrach etwas in ihr. Ihre Liebe zu Mischa erfror zu blindem Hass. Tief grub
sich das Gefühl in ihre Seele, in ihr Herz. Hoch erhobenen Hauptes schritt sie
über den glatten Kieselsteinweg und stellte sich vor ihre Schwester. Sah ihr in
die Augen. Bat stumm um Entschuldigung. Ließ ein Lächeln auf ihre Lippen
gleiten, drehte sich um und stach in der gleichen Bewegung den Dolch statt ins
Herz ihrer Schwester in das pulsierende Dunkel in der Brust von Mischa. Stumm
weiteten sich seine Augen und der Schmerz und der Verrat in ihm schrien laut.
Aus seinem Mund kamen lautlose Schreie. Schwarze Fäden voller Dunkelheit fraßen
sich an der kalten Schneide des Dolches herab und tropften auf Zooeys Hand.
Entsetzt musste sie mitansehen wie erst ihre Finger, dann ihre Hand und immer
weiter ihr Körper von den Dunkelfäden eingehüllt und verätzt wurde, bis nichts
mehr von ihr übrig war. Doch das letzte was sie sah, waren Claires wunderschöne
blaue Augen. Das Entsetzen in ihnen nahm sie schon gar nicht mehr wahr. Ihre
Gedanken waren nicht im Hier und Jetzt. Sie waren woanders, in ihrem früheren
Leben.
Die beiden Schwestern saßen in ihrem Bett,
welches sie sich lange Zeit teilen mussten, dick eingehüllt in ihre Decken und
weiße Dampfwölkchen bildeten sich vor ihren Mündern. Voller Verzückung trieben
die beiden Mädchen mit ihren Fingern die Wölkchen auseinander und atmeten neue
aus. Ihre Mutter kam nach oben und hielt zwei dampfende blaue Becher in der
Hand, einer von ihnen hatte einen leicht abgesplitterten Rand, Zooeys Tasse.
Beide jauchzten vor Freude und nahmen die heiße Schokolade ihrer Mutter mit
Freude in die kalten Hände und strahlten. Es war ein Moment, so einfach, aber
voller Magie. Ein Moment, den sich Zooey bewahrt hatte, all die Jahre. Ihr
Grund zu leben. Und mit genau diesem Moment starb sie. Voller Freude, voller
Magie, voller Liebe.
Doch Zooey sollte nicht in Frieden sterben. Für
all ihre Taten sollte sie büßen und das tat sie nun, bis die Feach endlich
erlöst werden sollten. Bis diejenige kam, die den Schlüssel zum Tal der Wölfe,
dem Paradies, in sich trug. Denn die Feach hatten keinen Platz mehr in dieser
Welt. All die Magie starb und alle Wesen, die Magie in sich trugen, würden
langsam sterben. Dies war der Lauf der Dinge und dies war nun vielleicht die
letzte Gelegenheit, dass die Magie überleben konnte. Denn nach Mischas Tod
wurde es nicht besser, das Zeitalter der Dunkelheit verging mit der Zeit, doch
die Menschen lebten in Angst. Veranstalteten Jagden, hetzten und töteten jeden
Feach, dem sie habhaft werden konnten sowie jeden Menschen, der sich in
irgendeiner Weise als Wolfsfreund zu erkennen gab. Nichts wurde wieder normal.
Selbst als die Wölfe als ausgerottet galten, kehrte kein Frieden ein, so tief
saß die Angst. Märchen, Legenden, Mythen wurden geschaffen und in einer jeden
galt der Wolf als böse, gefährlich, tödlich. Die wenigen Feach, die doch noch
lebten, verkrochen sich und lebten einsam und abgeschieden. Es war kein
erfülltes Leben mehr, nur noch von Angst und Furcht beherrscht, jemand könnte
herausfinden, welches Blut in ihnen floss.
Claire indes konnte den Tod von Zooey kaum
verarbeiten und für sie trugen ebenfalls die Feach die Schuld daran. Sie fing
an sie mehr und mehr zu hassen und noch mehr als das, mit Freude beteiligte sie
sich an den Wolfsjagden, verurteilte das Blut in sich, welches sie zur Hälfte
selbst zur Feach machte, und wusste bald schon nicht mehr, dass es andere
Gefühle als den schwelenden Hass in ihr gab. Doch dann gab es immer weniger von
ihnen auf der Welt, nur noch streunende Hunde fanden sie, und in Claire wuchs
langsam und stumpf eine Leere heran, die den Hass vertrieb und bald nur noch
Verzweiflung zurück ließ. Sie hatte ihren Lebensinhalt verloren und konnte damit
nicht umgehen. Wer war sie denn jetzt noch? Die Vergangenheit klebte an ihr wie
Harz und überall erkannte man sie. Claire, die unglaubliche Wolfsjägerin. Doch
davon war bald nichts mehr übrig. Sie wurde ein Nichts und sie fühlte sich wie
ein Nichts. Der Hass in ihr war verstummt und zum ersten Mal seit Jahren,
eigentlich sogar zum allerersten Mal, begann sie um ihre Schwester zu trauern.
Und dann wurde ihr bewusst, was sie eigentlich getan hatte. Und gleichzeitig
verdrängte sie es. Sie, die Wolfsjägerin, ließ sich bei einer kleinen Familie
nieder, lernte Seth kennen und begann ein neues Leben. Vergaß einige Zeit was
der dunkelste Fleck in ihrem Leben war und dann, dann war erst Kian und kurz
darauf Leandriis in ihr Leben getreten. Wie Säure hatte sich ihre Vergangenheit
durch das kleine enge Gefängnis in ihrem Herzen gebrannt und alles taufrisch in
ihr zum Klingen gebracht. Doch der Hass war verschwunden, genauso wie die
Verzweiflung. Sie lebte ihr Leben. Sie wollte es nicht mehr anders und sie
beschützte Kian genauso wie Leandriis, auch wenn ihr Instinkt dagegen war und
nun fand sie sich im Wald wieder. So wie unzählige Male zuvor, doch nun lag das
Schicksal in ihrer Hand. Sie konnte entscheiden, wer heute starb. Ob die Feach
eine Chance verlieren sollten ins Paradies zu kommen und sie musste darüber
nicht lange nachdenken, ihre Entscheidung war bereits damals gefallen, als sie
in Zooeys todgeweihte Augen geblickt hatte, auch wenn sie es tief in ihrem
gebrochenen Herz verbannt hatte. Doch die beiden jungen Feach vor ihr
verdienten eine andere Zukunft. Eine Zukunft voller Hoffnung.
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