Kapitel 16 / Tränen des Mondes
Vorsichtig
rannte sie zu der kleinen Hütte, die sich einsam und alleine an den Rand des
Waldes drückte. Kauernd hockte Leandriis in der windschiefen Kate und drückte
sich so tief in die Schatten, dass kaum mehr etwas von ihr zu sehen war. Wie
lange sie hier schon hockte, konnte sie nicht sagen, aber langsam breitete sich
eine dumpfe Taubheit in ihren Beinen aus und unbewusst wiegte sie sich sanft
hin und her. Draußen rauschten starke Windböen durch das dichte Geäst, und zu
allem Überfluss begann es auch noch zu regnen. Seufzend rieb sich Leandriis
über die Unterarme und stand auf. Ihr war kalt, sie war verängstigt und sie
hatte keine Ahnung wie es weiter gehen sollte. Innerhalb eines Momentes war
ihre Welt wieder einmal zusammen gebrochen. Erst ihre Familie, dann Cassian und
nun schon wieder. Wie oft würde sie das noch ertragen können und müssen?
Schmerzhaft zog sich ihr Herz zusammen als sie daran dachte, Rajael verlassen
zu müssen und auch Kian, denn sie hatte beschlossen, es nicht zu zulassen, dass
er sie begleitete. Sie wollte nicht, dass auch sein Leben zerbrach. Sie wollte,
dass er glücklich war und wenn nötig auch ohne sie. Mitten in ihren
Überlegungen gefangen, bemerkte sie erst spät, dass sich jemand der Hütte
näherte. Erschrocken wich sie wieder in die Schatten zurück und atmete nur noch
flach. Ihre Hände hatten sich gekrümmt und glichen nun eher Krallen als
menschlichen Händen.
»Schnell«,
flüsterte vor der Tür eine Stimme leise und Leandriis entspannte sich, als sie
Rajael erkannte. Hastig schoben sich zwei Gestalten durch eine schmale Öffnung
an der Tür und laut miauend raste ein rotes Fellknäuel auf sie zu.
»Tamzin«,
erfreut fing Leandriis ihre Katze im Sprung auf und drückte sich das weiche
Fell kurz ins Gesicht, bevor sie die Katze auf ihre Schultern setzte.
»Wir
müssen uns beeilen, die Stadt bereitet sich auf die Wolfsjagd vor, es dauert
nicht mehr lange, dann wird es hier vor Jägern und Hunden wimmeln.« Eisig kalt
liefen Schauder Leandriis´ Rücken hinunter, sie hatte niemals geglaubt, dass
sie solch einen Aufwand wert war. Sie, ein kleines Mädchen, mit
zugegebenermaßen beängstigenden Fähigkeiten, aber sie war doch trotzdem nur ein
kleines Mädchen ohne Ahnung von der Zukunft, Wolfspelz hin oder her. Doch
äußerlich hatte sie sich im Griff und nickte Rajael gefasst zu.
»Dann
sollte ich aufbrechen. Ich danke dir, Rajael, für die schöne Zeit bei dir. Ich
hatte so etwas wie ein Zuhause bei dir gefunden und allein dafür werde ich dich
niemals vergessen.« Die rothaarige junge Frau lächelte und trat auf Leandriis
zu.
»Ich
liebe dich, kleines Mädchen und ich glaube an dich. Du wurdest für diese
Aufgabe geboren und du wirst sie meistern, ich weiß es tief in meinem Herzen.
Du bist stark! Du kannst alles schaffen!« Sanft hauchte sie Leandriis einen
Kuss auf die Stirn und übergab ihr den Leinensack, welchen sie mitgebracht
hatte.
»Hier,
ich habe einige nützliche Sachen
eingepackt. Essen, Kräuter und ein paar andere Dinge. Ich wünsche euch
viel Glück!« Sie wandte sich Kian zu.
»Pass
auf dich und auf sie auf, ihr seid von nun an auf euch gestellt. Ich wünsche
euch beiden Glück und versuche euch so viel Zeit wie möglich zu verschaffen.«
Mit diesen Worten sah sie die Beiden ernst an, drehte sich um und verschwand in
der gerade aufgehenden Sonne Richtung Dorf.
»Nun
dann«, begann Kian, wurde aber sofort von Leandriis unterbrochen.
»Du
kommst nicht mit!«
»Was?«,
entsetzt starrte der Junge mit den wuscheligen Haaren sie an.
»Ich habe eine Entscheidung getroffen und ich werde diese Bürde alleine tragen, sie geht dich nichts an, also solltest du auch dein Leben nicht für mich aufgeben.«
»Ich habe eine Entscheidung getroffen und ich werde diese Bürde alleine tragen, sie geht dich nichts an, also solltest du auch dein Leben nicht für mich aufgeben.«
»Lea!«
Er starrte ihr direkt in die Augen. »Es geht mich sehr wohl etwas an. Du bist
meine Freundin und außerdem bin ich auch ein Feach, also ist es mein gutes
Recht dich zu begleiten.« Leandriis wankte. Ihr Entschluss war so fest gewesen,
aber jetzt sehnte sie sich danach, sein Angebot annehmen zu können. Nicht
alleine durch die Welt zu gehen. Seine Nähe. Seine Sicherheit neben sich zu
spüren. Aber konnte sie so egoistisch sein? Und doch, sie tat dies alles für
die Feach und wenn er auch einer war, dann änderte dies ihre Einstellung nicht.
Aber sie wusste, dass sie ihn nicht davon abbringen können würde.
»Kian,
wenn du dir wirklich sicher bist, dass du dieses Leben aufgeben willst, denn es
wird dir nichts anderes übrig bleiben wenn du mit mir kommst, wenn du wirklich
ein Ausgestoßener sein willst, der nirgendwo zuhause ist, dann, und nur dann
werde ich dein Angebot annehmen.« Kian lächelte.
»Ich
bin mir dessen bewusst, Rajael hat mich genauso befragt wie du und mein
Entschluss wird nicht wanken. Ich werde dich begleiten, denn alles was ich
will, ist an deiner Seite zu sein, egal wo und in welcher Situation.«
Leandriis´ grüne Augen begannen zu leuchten und Kian schloss sie sanft in seine
Arme, strich mit seinen samtenen Lippen über ihre Stirn und küsste sie sanft,
so sanft.
Dann
zerriss ein donnernder Schuss die Stille. Rajael war Leandriis einziger Gedanke
und stürzte zur Tür, doch von der rothaarigen Frau war nichts zu sehen. Ohne
nachzudenken wollte sie losstürmen, doch Kian ergriff ihren Arm und hielt sie
zurück.
»Lass
mich los«, kreischte sie verzweifelt und kämpfte gegen ihn an, zerkratzte ihm
die Arme, bis hellrote Blutstropfen hervor quollen.
»Du
kannst ihr nicht helfen, Lea, sie wollte, dass wir fliehen, lass ihr Opfer
nicht umsonst sein.« Fest drückte er sie an die Wand und versuchte die
schmerzenden Striemen zu ignorieren. Endlich beruhigte sich das widerspenstige
Mädchen ein wenig, schwer atmend lehnte sie an der Wand und Tränen voller Wut
und Verzweiflung rannen ihr makelloses Gesicht hinab.
»Ich
weiß, ich weiß«, wisperte Kian in ihr nach Fichten duftendes Haar. Leandriis
löste sich sanft, aber bestimmt aus seiner Umarmung und schnallte sich den
Leinensack, den Rajael ihr gebracht hatte, auf den Rücken und trat ins helle
Sonnenlicht hinaus, Kian auf ihren Fersen folgend.
Ihre
Reise hatte nun begonnen.
Sie
waren nicht weit gekommen, als lautes Hundegebell sie einholte. Gehetzt sahen
sie sich an und rannten los. Tamzin wies ihnen den Weg und ohne nachzudenken
folgten beide der roten Katze durch das dichte Geäst. Doch die Meute blieb
ihnen auf den Fersen. Männer brüllten. Hunde heulten. Äste brachen. Und die
beiden rannten schneller und schneller. Doch auch ihre Verfolger legten noch an
Tempo zu und ließen sich nicht abschütteln, nicht jetzt, wo die Hunde ihre
Fährte aufgenommen hatten. Denn die Menschen konnten sie durch ihr Äußeres
täuschen, die Hunde nicht, zu offensichtlich war ihr Wolfsgeruch in ihrer
menschlichen Natur zu riechen. Ein Ast peitschte Kian schmerzhaft ins Gesicht
und hinterließ einen langen blutigen Striemen, jedoch ohne bewusst von ihm
wahrgenommen zu werden, er rannte einfach. Schritt für Schritt. Nichts anderes
war mehr in seinen Gedanken, nur noch der folgende Schritt nach dem vorigen.
Daher bemerkte er erst Sekunden später, dass Leandriis plötzlich nicht mehr
neben ihm war. Verwundert brauchte er nochmals mehrere Sekunden, bis seine
Beine ihm gehorchten und er stehen blieb. Mit großen, vor Schreck geweiteten
Augen sah er sich um, doch er konnte sein Mädchen einfach nicht entdecken.
Vorsichtig lief er den Weg, den sie genommen hatten, zurück und wusste, dass er
so zwangsläufig den Hunden in die Quere kommen musste, aber er konnte Leandriis
auch nicht einfach zurück lassen. Und dann endlich erspähte er sie. Sie lag auf
dem holzigen weichen Boden und hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den
rechten Knöchel und fluchte leise vor sich hin, was Kian trotz aller Gefahr ein
Lächeln aufs Gesicht zauberte.
»Komm,
kannst du aufstehen?« Er griff unter ihre Arme und zog sie hoch, sofort zischte
Leandriis leise vor Schmerz und klammerte sich an ihn um nicht wieder
umzufallen. Indes wurde das jaulende Bellen der Jagdhunde immer lauter.
»Verdammt,
verdammt, verdammt«, mittlerweile fluchte auch Kian aus vollstem Herzen, denn
ihm war nur zu bewusst wie schlecht es für sie beide aussah. Wegrennen konnten
sie nicht, verstecken war bei den gut ausgebildeten Tieren vergebens und viel
mehr Varianten gab es für sie nicht mehr. Sie konnten nur noch ihrem Schicksal
entgegen treten und auf ein Wunder hoffen. Doch als der erste riesige
blauschwarze Hund aus dem Unterholz brach und sich knurrend vor sie stellte,
schwand Kians Hoffnung sofort. Dieses Monster war nicht nachgiebig, dieses Tier
würde sie beide zerreißen wie ein altersschwaches Stofftier. Zitternd schob
Kian Leandriis hinter sich und ließ den Hund nicht aus den Augen. Innerhalb
weniger Augenblicke sammelten sich hinter der riesigen Hündin drei weitere,
etwas kleinere, aber deswegen nicht weniger imposante Tiere und knurrten geifernd.
Die beiden Feach rührten keinen Muskel, viel zu viel Angst hatte sich in ihre
Knochen geschlichen und verhinderte jegliche Bewegung. Glücklicherweise rührten
sich auch die vier Köter nicht weiter, doch beruhigen konnte das niemanden.
»Na
wen haben wir denn da?«, breit grinsend trat Seth aus dem Schatten des Waldes.
Seth, der sie hasste, warum auch immer. Seth, in dessen Augen Mordlust
glitzerte. »Die kleine dreckige Wölfin und ihr räudiger Köter.«
»Seth!«,
wütend erklang Claires helle Stimme durch die unheimliche Atmosphäre.
»Was?«,
entnervt drehte der große, schrotige Mann sich zu seiner kleinen, zierlichen
Freundin um.
»Du
wirst ihr nichts tun!«
»Ach,
und warum nicht? Du bist doch genauso ein Opfer ihrer Art, warum nimmst du sie
plötzlich in Schutz?«
»Du,
du weißt es?«, verdutzt sah Claire ihn an und in ihren Augen schimmerten
glasklare Tränen.
»Natürlich,
was dachtest du denn? Ich bin schließlich Wolfsjäger, als würde es mir da
entgehen, mit einem Halbblut zusammen zu leben!« Verächtlich schnaubte er und
stieß Claire grob mit der Hand zurück, als die blonde Frau auf ihn zutrat.
»Aber um dich kümmere ich mich später,
erst sind diese dreckigen Gören dran.« Er wandte sich wieder ihnen zu.
»Denn jetzt und hier endet eure Reise!«
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