Kapitel 15 / Tränen des Mondes
Leandriis
dagegen war auch hier noch nicht angekommen, die Menschen misstrauten ihr und
konnten sie nicht in ihre Mitte lassen. Egal, wie oft sie im Laden aushalf oder
Rajael auf ihren Besuchen bei den Kranken begleitete, die Bewohner des Dorfes
stießen sie aus. Wispernd und voller verstohlener Blicke begleiteten sie ihre
Wege und sobald sie ein Haus verließ, wurde dieses mit Weihrauch ausgeräuchert
und gesäubert. Dass sie Leandriis überhaupt in ihre Häuser ließen grenzte an
ein Wunder, aber niemand wollte Rajael verärgern. Die junge Heilerin hatte
einen guten Ruf bei den Dorfbewohnern, weswegen niemand öffentlich gegen das
junge Feachmädchen revoltierte. Es tat Leandriis weh, das wusste Rajael, auch
wenn das junge Mädchen dies nicht nach außen zeigte. Seufzend strich Rajael
über ein Blatt der Pfefferminzpflanze, die sie gerade betrachtet hatte, als
Leandriis schrille Stimme sie aus ihren trüben Gedanken riss.
»Rajael?
Rajael!« Die junge Feach stand am Waldrand und starrte zum Dorf hinunter.
Tiefschwarze Rauchschwaden hatten sich darüber gesammelt und hüllten alles in
grauenerregende Dunkelheit.
»Die
Wolfsjagd«, murmelte Rajael entsetzt, aber voller kalter Ruhe.
»Was«,
verunsichert von ihrem Ton wirbelte Leandriis zu ihr herum. Rajael sah sie mit
traurigen Augen an.
»Die
Wolfsjagd ist das Zeichen, dass Wolfsjäger Spuren gefunden haben, von denen sie
glauben, dass sie zu Wölfen gehören.«
»Aber«,
stammelte Leandriis. »Ich dachte Wölfe gelten als ausgestorben.« Jetzt lächelte
Rajael.
»Glaubst
du denn auch selbst daran?«
»Ich,
ja natürlich. Es wurden seit Jahrhunderten keine Wölfe mehr gesichtet.«
»Das klingt überzeugend Leandriis, aber ich weiß, dass dies eine Lüge ist. Genau wie du es weißt.« Sie berührte das Mädchen an der Schulter und flüsterte nur zwei Worte:
»Das klingt überzeugend Leandriis, aber ich weiß, dass dies eine Lüge ist. Genau wie du es weißt.« Sie berührte das Mädchen an der Schulter und flüsterte nur zwei Worte:
»Erinnere
dich!«
Leandriis war von weißem, reinem Nebel umgeben.
Sie fühlte sich sonderbar leicht und Gedanken wirbelten um sie herum. Gedanken
von … Wölfen. Wölfe? Und mit einem Mal wusste sie wieder wer sie war, was sie
war, was geschehen war. Leandra, Cassian, Zooey. Sie waren wegen ihr hier. Die
Wolfsjagd galt ihr. Sie musste fliehen. Musste den Schlüssel finden. Musste die
restlichen Wölfe befreien und Frieden in das Rudel bringen. Sie wusste nicht
warum, aber die Feach hatten sie ausgewählt, ihnen das Paradies zu bringen. Sie wusste nicht wie, aber es musste
einen Weg geben. Sonst hätte sie versagt und alle verließen sich auf sie. Dies
fühlte sie tief in ihrem Herzen. Ihrem Wolfsherzen.
Keuchend
holte Leandriis Luft und kam wieder zu sich.
»Warum
hast du das solange vor mir geheim gehalten?«, anklagend richtete sich ihr
Blick auf Rajael.
»Das
habe ich nicht! Das warst du selbst, weil du dich nicht erinnern wolltest und
das war in Ordnung. Bis jetzt, jetzt ist alles anders. Du musst weg von hier.
Wenn du hier bleibst, werden sie dich eher früher als später finden und die
Wolfsjäger sind nicht zimperlich. Hast du eine Ahnung, was die Wolfsjäger
sind?« Leandriis schüttelte halb wissend, halb fragend den Kopf
»Nein.«
»Wolfsjäger
sind Wesen, die sich in früherer Zeit in Bären verwandeln konnten um eine
Chance gegen die Wölfe der Feach zu haben. Damals galten diese Wesen als edel
und treu dem König untergeben. Sie haben die Welt von den dunklen Wölfen
gesäubert, aber irgendwann brachen sie auf und wollten alle Wölfe töten, egal
ob Feach oder nicht, egal ob böse oder nicht. Bis heute gehen diese Jäger jedem
Hinweis nach und töten alle Wesen, die auch nur ein Quäntchen Wolfsblut in sich
haben. Teilweise sind es nur Hunde oder arme Menschenopfer, doch es ist ihnen
egal, solange sie nicht sicher sind, ob nun Wolf oder nicht. Es gibt heute kaum
noch Wolfsjäger oder Wesen wie die Bären, mit dem Verschwinden der Wölfe
verschwanden auch diese Krieger. Doch es gibt noch einige wenige von ihnen und
nun sind sie auf deine Spur gekommen. Claire hat dich solange beschützt wie es
irgendwie ging, aber nun ist ihre Macht brüchig geworden. Du musst nun fliehen
und für dich selbst kämpfen. Es tut mir leid!« Leandriis starrte sie mit aufgerissenen
Augen an. In ihnen spiegelte sich eine Vielzahl von Emotionen, dass Rajael sie
nicht greifen konnte, so viele waren es.
»Claire?
Ich dachte sie hasst mich.«
»Nein,
sie hasst dich nicht. Sie hat Mitleid mit dir. Sie ist selbst halb Mensch, halb
Feach. Ein Mischwesen aus beiden Rassen. Ihre Macht ist gering, aber trotzdem
fließt dein Blut auch in ihren Adern.« Leandriis riss die Augen auf, für sie
war es unverständlich, dass die blonde kalte Frau sie nicht gehasst haben
sollte. Und dass sie dann auch noch das gleiche Blut teilten.
»Claire
wird die Meute aufhalten, doch du musst gehen. Verstecke dich oberhalb des
Waldes, in der kleinen Kräuterkate, die ich dir gezeigt habe. Ich komme so
schnell ich kann nach und bringe dir ein wenig Proviant und was du sonst noch
gebrauchen kannst und ich werde Kian zu dir führen.«
»Kian?«
»Ja,
er ist ebenfalls in Gefahr. Er ist wie du, er kann es gut verbergen, aber er
kann nicht hier bleiben. Wenn die Bluthunde einmal Witterung aufgenommen haben,
ist es egal, wen sie suchen, sie finden alle, die auch nur ein winzig kleines
bisschen wie ein Wolf riechen.«
»Aber
wohin sollen wir gehen? Ich habe keine Ahnung, was ich machen soll.«
»Vertraue
deinen Instinkten Leandriis. Du wirst wissen, welcher Weg der richtige ist. Du
bist dazu bestimmt, die Wölfe zu retten und du wirst wissen, was du zu welcher
Zeit zu tun hast.« Leandriis wand sich.
»Aber
vielleicht bin ich nicht die Richtige«, Leandriis Stimme war schrill vor
Verzweiflung. In Rajaels dunklen Augen brannte kurz ein Funken voll Zorn hell
auf.
»Hör
auf! Du weißt ganz genau, tief in deinem Innersten, dass du eine Aufgabe hast,
also nimm sie an und führe zu Ende, was vor sehr sehr langer Zeit begann.«
Leandriis starrte sie mit aufgerissenen Augen an und nickte schließlich, sie
wusste, dass Rajael Recht hatte.
»Gut,
dann los jetzt, ich habe mich noch um eine Menge zu kümmern, bevor ich dich
nachher an der Hütte treffe. Halte dich versteckt und warte vor allem auf mich.
Hast du verstanden?« Leandriis nickte und versuchte ihre Angst zu unterdrücken.
»Sehr
gut«, die junge Frau nickte und rote Haarsträhnen fielen ihr in die Stirn, was
ihr ein verwegenes Aussehen gab. Mit diesen Worten drehte sich Rajael um und
lief Richtung Dorf, während sich Leandriis tiefer in den dunklen, dichten Wald
begab und nur mit Mühe ihre Tränen über den Verlust des mittlerweile lieb
gewonnenen täglichen Lebens zurückhalten konnte. Alles hatte sich scheinbar
gegen sie verschworen, immer wenn sich etwas halbwegs in ihrem Leben
eingependelt hatte, wurde es zerstört. Sie war nicht am Ziel ihres Weges und
etwas versuchte sie scheinbar mit gewaltiger Kraft weiter zu treiben.
Erschrocken zuckte sie zusammen, als es in der Ferne laut krachte und jemand
schrie.
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