Von einer eisigen Königin / Magie der Träume
Es war einmal, denn so beginnen
alle Märchen, in einem wunderschönen tiefgrünen Land, mit seinen zähligen
dichten Wäldern und seinen tausenden von kristallklaren Seen, ein glückliches
Königspaar. Sie waren hochgeachtet und wurden von ihrem Volk abgöttisch geliebt
und verehrt. Seit Jahrhunderten währte nun ein tiefer Frieden über das Land,
welches in Wohlstand und Anmut erblüht war. Nur eines war den beiden versagt,
ihr sehnlichster Wunsch: ein Kind, welches ihre Liebe perfekt gemacht hätte.
Doch egal wie oft sie es
versuchten, was sie auch versuchten, es entstand kein neues Leben in der
Königin. Voller Gram und Schuldgefühlen zog sich die Königin immer weiter in
ihrer Trauer zurück und entfernte sich weiter und weiter von ihrem Mann, dem
König, bis sie eines Tages voller Einsamkeit starb.
Eine große Trauer legte sich über
das Land und überall wurde gewispert, sie wäre an einem gebrochenen Herzen
gestorben. Der König indes wurde schweigsam und versank in der Dunkelheit
seiner Seele, die vor Schmerz und Einsamkeit zerrissen war. Und vor Schuldgefühlen,
denn er machte es sich zum Vorwurf, nicht mehr für seine Frau dagewesen zu
sein, sie nicht genug unterstützt zu haben. Er gab sich die Schuld an ihrem
Tod, denn er liebte sie so sehr, dass er sich sicher war, an seiner Seite hätte
sie bis zu ihrem gemeinsamen Tod leben können. Wäre er für sie nur stark genug
gewesen, doch er hatte versagt. Hatte sie alleine in ihrem Schmerz gelassen,
hatte sie verraten.
Drei lange Jahre sollte das
Königreich in Traurigkeit versinken, bis … ja, bis eine bildschöne Prinzessin
das herunter gekommene Schloss des Herrschers betrat und die gleißend helle
Sonne mitbrachte. Geblendet von ihrer Schönheit entbrannte der König in einer
unsterblichen Liebe zu ihr und vergaß seine Trauer und all seinen Schmerz.
Vergessen waren die letzten Jahre der Schatten und eine neue Königin betrat den
Thron.
Doch diese Frau war nicht nur
wunderschön mit ihrem Alabastergesicht, ihren tiefschwarzen Haaren und den
ozeanblauen Augen, sondern auch hinterlistig und herrschsüchtig. Die Bewohner
des Landes kamen nicht umhin, diese Bosheit in ihren kalten Augen wahrzunehmen,
das Gift, welches ihr von den Lippen troff, wenn sie zu ihnen sprach. Nur einer
war vollkommen blind für all dies, der König selbst, der in Liebe entflammt war
und alles andere einfach übersah.
Die Königin aber lebte nur für
ihre Spiegel. Spiegel, die ihre Schönheit reflektierten. Spiegel, die ihr ihre
Vollkommenheit zuwisperten. Spiegel, die ihre besten Freunde waren. Jede Wand,
jede freie Fläche des Schlosses war bedeckt mit dem kristallklaren Glas und ein
jeder Spiegel leuchtete geradezu von ihrer Schönheit.
Doch auch diese Majestät schenkte
dem König kein Kind. Oh, schwanger war sie. Mehr als nur einmal, aber sie
wusste zu verhindern, dass das Balg in ihr wuchs, dass sie dick und
unansehnlich wurde, ihr ihre Schönheit nahm. Denn das war alles was sie liebte,
ihre unvergleichbare Schönheit!
Die Zeit verrann. Tag um Tag.
Woche um Woche. Monat um Monat. Jahr um Jahr. Und auch die wunderschöne Königin
alterte. Erste Falten gruben sich in ihr Gesicht. Missgunst schlich sich in ihr
Herz. Und all die wundervollen Spiegel, die einst ihre besten Freunde gewesen
waren, begannen ihr wahres Gesicht zu zeigen. Grau gezeichnet vom Alter. Das
nachtschwarze Haar von silbrigen Strähnen durchzogen. Ihre tiefblauen Augen
müde. Flecken überall auf ihrer Haut. Und zugleich vernahm sie ihre eigene
Stimme, krächzend wie ein Rabe. Alt! Dieses Wort grub sich tief in ihr
Bewusstsein ein und ließ unstillbare Wut in ihrem Herzen Einzug halten. Neid
beschlich sie. Neid auf jedes Wesen, welches jünger und schöner war als sie
selbst und schließlich, schließlich begann sie ihre ehemals besten Freunde zu
befragen, die Spiegel!
Doch die Spiegel waren dumm, dumm
und dazu feige, denn sie hatten Angst. Angst davor zerschlagen, zersplittert,
zerstört zu werden, zu erblinden. Doch die Königin erhielt ihre sehnlichste
Antwort und mit dieser Antwort ging sie zum König. Und sie tat etwas, was sie
noch nie zuvor getan hatte. Sie flehte! Sie weinte! Sie schrie! Sie tobte! Und
schließlich brach sie zusammen.
Der König, der dies nicht mit
ansehen konnte und dessen Herz schmerzte, weil seine geliebte Frau nicht
glücklich war, weil er sie nicht glücklich machen konnte, so wie es jetzt war,
tat schließlich was sie verlangte.
Er begann seine Soldaten
auszuschicken, um ein unschuldiges, junges und wunderschönes Mädchen zu rauben.
Denn das war es, was die Spiegel der untröstlichen Königin als Hinweis gaben.
Wahre Schönheit und Jugend konnte nur erhalten werden, wenn man das noch frische
und warme Herz einer Jungfrau aß und sie musste dazu wunderschön sein, denn nur
dann konnte sich die gesamte Magie dessen entfalten. Und es stimmte. Die
Königin wurde wieder jung und wunderschön. Und umso gefürchteter. Zunächst
reichte ihr ein Herz im Jahr, doch je älter sie wurde, umso schneller
verflüchtigte sich der Zauber. Immer schneller wurde aus der jungen hübschen
Frau wieder die alte Vettel, die vor Missgunst und Selbsthass auf ihr Alter
zerfloss. So kam es, dass innerhalb kürzester Zeit die Töchter den Vätern
geraubt wurde, welche versuchten, ihre Kinder zu verstecken und außer Landes zu
bringen um sie zu schützen.
So kam es, dass es bald keine
jungen, schönen Frauen mehr im Königreich gab und die Königin musste ohnmächtig
ihrem Altern zusehen. Sie wurde rasend vor Hass. In das glatte, makellose
Gesicht gruben sich tiefe Falten, ihre strahlend blauen Augen wurden stumpf und
müde, das ehemals rabenschwarze Haar weiß und licht.
Sie verfluchte den König. Das
Königreich. Und allen voran ihre Spiegel. Ihre einstmals besten Freunde zeigten
ihr nun jede Sekunde des Tages ihr wahres Antlitz, hässlich und alt. Sie tobte.
Sie schrie. Sie weinte. Sie flehte. Doch nichts passierte. Sie blieb wie sie
war. Und das zerbrach das erstarrte Herz aus Eis in ihrem Brustkorb. Tausende
von Splittern stoben auseinander. Alles zerstörende Dunkelheit bemächtige sich
ihrer und Schwärze floss ihr aus den Augen. Unter wütendem Geschrei zerbrach
sie jeden einzelnen Spiegel, egal ob groß oder klein. Eigenhändig und voller
Hass. Jeder ihrer Freunde zersplitterte in tausende kristallene Teile und
spiegelten millionenfach die Dunkelheit der alten Frau wieder. Eine Dunkelheit,
die die Königin nicht ertragen konnte. Doch sie machte weiter. Ein Spiegel nach
dem anderen. Ohne Pause, ohne innezuhalten, in unbändigem Neid auf die jungen,
wunderschönen Mädchen überall auf der Welt.
Mittlerweile lief das Blut
dunkelrot an ihren Armen herunter. Bespritze das weiße Kleid, welches sie trug.
Ohnmächtig zerbrach sie den letzten Spiegel. Keuchend stand sie im ehemaligen
Spiegelsaal, barfuß, voller Blut, inmitten hunderttausenden von Glassplittern.
In diesem Moment ging die Sonne auf. In diesem Moment, in der es in der Königin
am dunkelsten war. Sie selbst war zerfressen von ihrem eigenen Hass. Und in
diesem Moment streckte sich ein Sonnenstrahl vorwitzig in den Spiegelsaal. Nur
ein kleiner winziger Strahl, der sich jedoch in den kleinen Splittern brach und
hundertfach gespiegelt wurde. Der Raum flammte auf vor Helligkeit und die
Königin, welche schon nicht mehr die Königin war, schrie und schrie und schrie
und wie ein wildes Echo brachen sich die Schreie im gesamten Schloss. Sie
schrie solange, bis die Dunkelheit in ihr zerbrach. Schwarze Fäden schlängelten
sich aus ihren Augen und verließen diesen alten, zerbrechlich gewordenen
Körper. Das war der Augenblick, in dem die Königin starb und in diesem Moment
wurde ihr bewusst, was die Lösung, die wahre Lösung, gewesen wäre.
Ihre Jugend und ihre Schönheit
hätten weiter leben können, aber sie war dumm gewesen und hatte sich in den
falschen Ideen verrannt. Hatte den falschen Freunden vertraut. Freunde, die
jetzt zerstört überall um sie herum lagen. Zum ersten Mal in ihrem Leben war
ich Lächeln nicht kalt und berechnend, sondern warm und verstehend. Sie schloss
die Augen und wünschte sich etwas. Tief, fest und voller Liebe. Dann hauchte
sie den letzten Atemzug ihres Lebens aus und starb. Einfach so.
Der König hatte das Schreien
seiner Frau vernommen, aber er blieb sitzen. Er war müde, alt und hatte zudem
endlich erkannt, dass seine Königin ein hinterlistiges Spiel mit ihm getrieben
hatte, aber es war ihm egal. Alles, was er sich wünschte, war, seine Ruhe zu
haben. Die Kraft hatte ihn verlassen. Er wusste, dass sein Reich in Angst und
Schrecken lebte. Wusste, dass alles was er erreicht hatte, nun von den Taten
seiner Frau überschattet wurde. Er war traurig und vor allem war er einsam
geworden. Was ihn jedoch am meisten betrübte, war, dass sein sehnlichster
Wunsch niemals in Erfüllung gegangen war. Wie sehr hatte er sich doch ein Kind
gewünscht. Und nun würde er alleine sterben, das Königreich ohne Führung
zurücklassen und die Erinnerung an sich selbst auslöschen, denn niemand würde
sich nach seinem Tod mehr seiner erinnern.
Seufzend stand er schließlich auf
und ging von Gram gebeugt durch sein Schloss und betrat schließlich den
Spiegelsaal. Was ihn dort erwartete, verschlug ihm die Sprache. Überall
glitzerte es. Sonnenstrahlen brachen sich in den Spiegelscherben. Dunkelrotes
Blut zeichnete ein bizarres Muster auf diesem. Und inmitten diesem Chaos lag
eine schwarze Rose, tiefschwarz mit einem weißen Rand. Neugierig griff der
König nach der filigranen Blume und bemerkte erst jetzt den Zettel, der am
Stiel festgebunden war. Vorsichtig entrollte er das Pergament und las den Brief
mit Tränen in den Augen.
Ich war Euch niemals eine Königin. Ich war dem Land nie eine Königin.
Alles was ich war, war ein Nichts. Oder sogar noch schlimmer, ein Monster. Es
tut mir leid für all den Schmerz, die Furcht, die Dunkelheit. Doch nun möchte
ich Euch und eurem Land etwas schenken. Damals, als ich das halbe Jahr zu
meiner Schwester fuhr, habe ich Euch ein Kind geschenkt. Ein wunderschönes
kleines Mädchen. Ihr Name ist Ariadne.
Der König war überglücklich und
konnte sein Kind wenige Zeit später in die Arme schließen. Sie war wahrhaft
wunderschön. Helle, alabasterfarbene Haut, lange nachtschwarze Haare, alles von
ihrer Mutter geerbt, aber die Augen, die Augen hatte sie von ihm. Moosgrün mit
goldenen Sprenkeln. Und sie glich in keiner Eigenschaft ihrer Mutter. Ihr Wesen
war offen, warmherzig und die Menschen liebten sie.
Das Königreich begann endlich
wieder aufzublühen. Sonne ergoss sich in alle Herzen und die Menschen vergaßen
ihre Furcht, die Entbehrungen der letzten Jahre. Ariadne sorgte dafür, dass
ihre Mutter vergessen wurde und niemand grollte dem alten König mehr, welcher
glücklich und zufriedener war als jemals zuvor in seinem Leben und daran hatte
nicht nur seine kleine wunderschöne Prinzessin Anteil, sondern auch die
Schwester der ehemaligen Königin, die ihr Ziehkind begleitete hatte und die
neue Königin wurde.
Zusammen wurde das Königspaar
uralt und lebte ein glückliches und zufriedenes Leben, immer begleitete von
Ariadne, des Königs ganzer Stolz.
Und wenn sie nicht gestorben
sind, dann leben sie noch heute, denn so endet schließlich jedes Märchen, auch
meines.
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