Prolog / Tränen des Mondes
Es war Nacht. Tiefste Nacht. Dunkel. Eiskalt. Nicht ein Stern stand am
weiten Horizont. Und mitten in dieser undurchdringlichen Nacht lag ein Kind,
nur eingewickelt in eine braune, zerschlissene Decke. Die kleinen Finger in den
kargen Stoff gekrallt. Totenstill. Keine drei Meter von diesem Kind entfernt
stand ein großer, grauer Wolf. Dampfwolken bildeten sich vor seiner von einer
langen, hässlichen Narbe entstellten Schnauze. Seine kalten, grauen Augen waren
auf das stille Kind gerichtet, die scharfen Zähne leicht gebleckt. Tief sog er
die nach Regen riechende Luft ein, die Nase weit in die Luft gereckt. Ein
tiefes, dunkles Grummeln zog sich durch seinen Körper, bevor das Geräusch als
lautes, tiefes Heulen aus seinem Maul brach. Ein Heulen, das von Vergebung
sprach und einzig und allein dem Kind galt. Dann verschwand er auf leisen
Sohlen lautlos im tiefen, schweigenden Wald und überließ das Kind seinem
Schicksal. Das Mädchen blieb stumm, nicht ein Wimmern kam über ihre Lippen,
doch als sie die Augen öffnete, schien die Welt stehen zu bleiben. Tiefgrüne
Augen, voller Wildheit und Intelligenz. Dann erst drehte die Welt sich weiter.
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