Versteh mich doch / Farbschatten der Erinnerung
Lange Zeit saßen sie einfach nur
da und sahen sich an. Ihre Augen trafen sich, aber sie sahen scheinbar
durcheinander hindurch. Hingen ihren eigenen Gedanken nach, dachten daran, was
gewesen war, was ist und was werden könnte. Ohne sich der Geste bewusst zu
sein, strich sie sich die widerspenstigen, rostroten Haare aus dem Gesicht.
Ihre Gedanken wanderten zurück zu jenem Tag, an dem alles begann. Dem Tag, den
sie nie vergessen würde, egal, was noch geschehen könnte. Niemals würde sie
irgendetwas an den Gefühlen ändern wollen, die sie an jenem Tag gefunden hatte,
doch etwas war geschehen. Sie spürte es ganz deutlich, aber noch verdrängte sie
dieses Gefühl, niemals wollte sie es verleugnen oder gar verlieren. An diesem
Tag war sie wieder zu neuem Leben erwacht, etwas, das ihr Kraft gab und sie
seitdem Tag für Tag begleitete. Es gab keine Minute, nicht eine Sekunde, in der
sie diese Wärme in ihrem Herzen verließ. Doch es war zu etwas alltäglichem
geworden und sie hatte vergessen, wie die Welt früher ausgesehen hatte und war
jetzt an einem ganz bestimmten Punkt angelangt, an dem sie festsaß und nicht
mehr weiterkam. Es war so alltäglich geworden, dass sie glaubte, es verloren zu
haben. Das Gefühl jemand ganz Bestimmen zu lieben und jetzt saßen sie hier.
Saßen nebeneinander. Schweigend. Sahen sich an und doch durcheinander hindurch.
Gesagte Worte verhallten ungehört in der Luft. Sie erreichten sie einfach
nicht. Sie konnten sagen, was sie wollten, die Worte erreichten nicht ihre
Herzen. Es hatte keine Bedeutung mehr für sie. Mit einer weiteren Bewegung
strich sie sich eine Strähne aus dem Gesicht. Sie saßen hier schon seit einer
Ewigkeit auf der harten Bank im Park und schwiegen sich an, so dass sie genervt
aufstöhnte. Er drehte den Kopf zu ihr, sah sie an – scheinbar das erste Mal
seit langer Zeit. Er bewegte den Mund, doch die Worte kamen bei ihr nicht an.
Wie gebannt starrte sie ihn an, blickte in seine grünen Augen, tauchte in eine
Welt ein, die ihr so bekannt war und doch völlig neu. Früher hatten diese Augen
ihr Schauer über den Rücken jagen lassen, aber jetzt waren es ganz normale
Augen. Augen wie sie jeder andere auch hatte. Sie brauchte lange um sich zu
lösen, um wieder Herr ihrer eigenen Sinne zu werden. Gedanken schossen ihr
durch den Kopf. Gedanken an jemand anderen, jemanden der jetzt nicht neben ihr
saß. Jemanden, den sie liebte, mehr liebte als ihn. Es tat weh, wenn sie daran
dachte, dachte an den Kuss, der verboten so bittersüß geschmeckt hatte. Wieder
wanderte ihr Blick zur Seite, sah ihm ein letztes Mal in die Augen, sah ihn an,
erkannte, dass er nicht das ist, was sie wollte. Mit einem Ruck stand sie auf
und sah ihm ein letztes Mal in die Augen. Sie sah seinen Schmerz, all die
Worte, die er nicht aussprach, nie aussprechen würde, weil er sie liebte, aber
sie hatte keine andere Wahl, nicht mehr. Ihr Herz gehörte jemand anderem, es
war geschehen und ließ sich nicht mehr löschen. Er wusste es und sie wusste es
auch. Es gab kein Zurück mehr, nicht hier und nicht jetzt, und auch nicht mehr
in der Zukunft. Mit den letzten Worten zog sie einen Schlussstrich, machte
einen Schritt, von dem es kein Zurück mehr gab. Ob es richtig war, das konnte
sie jetzt noch nicht wissen. Ein letztes Mal in diese grünen Augen versinken,
dann war es vorbei.
"Es tut mir leid, ich hoffe,
du kannst es verstehen!" Dann drehte sie sich um und ging.
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