Das kleine Traummädchen / Farbschatten der Erinnerung


Sie wurde das kleine Traummädchen genannt, denn einen anderen Namen hatte sie nicht. Nacht für Nacht brachte sie Träume übers Land. Gute Träume, wohlgemerkt. Und doch, niemand dankte ihr je dafür. Freute sich über die Anwesenheit des Mädchens. Doch das selige Lächeln der Kinder im Schlaf war ihr Dank genug. Mehr brauchte sie nicht. Nur das. Und auch nur deswegen schlüpfte sie Nacht für Nacht in die Zimmer der Kleinen und überbrachte Träume voller Farbe und Wärme.
Manchmal halfen ihr auch die Blüten- und Feuerfeen dabei. Doch bei den Feuerfeen war immer besondere Achtung geboten, welche Träume diese wirklich überbrachten. So frech wie sie waren, schummelt sich auch immer wieder gerne ein Albtraum mit hinein. Da griff das Traummädchen lieber auf die Hilfe der Blütenfeen zurück. Diese waren freundlich, hilfsbereit und nett. Und sie mochten die Kindern, denen sie die Träume überbrachten. Gerne trugen sie daher die guten Träume zu ihnen und waren eine gute und gern gesehene Hilfe. Denn nicht jedem traute das Traummädchen ihre kostbaren Träume an. Jeder dieser Illusionen konnte nur auf einem einzigen Weg geboren werden. Jeder Traum wurde aus der Träne eines Kindes geboren. Und nur dieses Kind konnten diesen Traum dann empfangen. Niemand sonst. So wurde aus jeder einzelnen Träne ein Lächeln geboren. Ein Lächeln für das traurige Kind. Ein Sonnenstrahl, um die geweinten Tränen zu trocknen. Die Traurigkeit zu nehmen. Ein neues Lächeln, ein alle Traurigkeit vergessendes Kinderlachen, entstehen zu lassen.
Doch dies hatte seine Preis. So wie jede Magie seinen Preis hat. Und diesen hatte das Traummädchen zu bezahlen. Nacht für Nacht. Traum für Traum. Mit jeder Träne, die sie in einen Traum verwandelte, schlich sich ein Stück Dunkelheit in ihr Herz. Einst war das Traummädchen voller Licht gewesen. Hat gestrahlt wie die Sonne. Geglänzt wie ein Regenbogen. War fröhlich wie eine Horde Blütenfeen im Frühling. Doch Jahr für Jahr verging ihre Schönheit. Ihre Fröhlichkeit. Dunkler wurde sie. Schwärzer ihr Herz. Ihr Kraft schwand. Nacht für Nacht. Doch noch durfte sie nicht gehen. Nicht, solange kein Ersatz gefunden war. Sich ein neues Traummädchen auf dem Weg gemacht hatte. Es schmerzte immer mehr. Jede Träne war eine Qual. Ihre Lebenszeit neigte sich dem Ende zu. Noch drei Tage, dann wäre sie hundert. Älter wurde kaum eine Fee. Egal ob Traummädchen oder eine andere Spezies. Hundert, war die magische Zahl. Warum auch immer …

Der Schmerz kam ohne Vorwarnung. Keuchend krallte sie sich fest. Zitternd verteilten ihre Flügel glitzernden Feenstaub. Tränen traten ihr in die Augen. Sie, die verlernt hatte wie man weint. Es war schmerzhafter als je zuvor und die Tränen hatten sich verändert. Pechschwarz waren sie geworden. Doch trotz des atemraubenden Schmerzes musste sie lächeln. Denn sie wusste was dies zu bedeuten hatte. Sie musste gehen. Ihre Zeit war abgelaufen. Doch würden ihre Schützlinge nicht alleine zurück bleiben. Endlich. Ein neues Traummädchen war auf dem Weg. Endlich. Geboren aus Traurigkeit und Schmerz. Das war es, was eine neue Fee ausmachte. Geboren aus unendlicher Dunkelheit, Pein und Entsetzen. Auferstehen wird es in Licht. Es, das Kind. Denn nur ein Kind konnte dieses Erbe antreten. Ein Kind von nicht mehr als drei Jahren. Doch auch dieses Wunder hatte einen Preis. So wie jede Magie. Der Preis diesmal bestand aus der Verweigerung des Himmels. Denn dieses Kind, gestorben in Leid, würde zum Traummädchen werden. Nur aus tiefster Finsternis konnte Licht entstehen.

Auch das jetzige Traummädchen war einst ein viel zu früh gestorbenes Kind. Vom Vater misshandelt. Von der Mutter erstickt. Doch nun war sie erlöst. Löste sich auf in winzig kleine Lichtpunkte und machte sich auf die Reise. Auf die Reise die Welt wieder etwas heller zu machen. So wie nun auch das neue kleine Traummädchen.

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